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Full text of "die fahrt der wega uber alpen und jura"

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Tta Danul QDooiNBmu Fdnd 



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Die 



Fahrt der „Wega" 



Über 



Alpen und Jura 



am 3. Oktober 189S 



von 

er 

Alb. Heim, Jul. Maurer, Ed. Spelterini. 



•^ " - -S.--'^ -». -\ *. *.- 



Hit Profilen, Karten nnd zahlreichen Lichtdruckbildern. 



Benno Schwabe, YerlagHbucbhandlung. 

1899. 



307283 
•30 






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Scbweighaaieriscbe Bnehdrnckeret. 



Frau 



Dr. Fanny Forst, geb. Biedermann 



IN COBLENZ 



IN Dankbarkeit gewidmet. 



Inhaltsverzeichnis. 



SeiU. 

I. Erste Veranlassung und Vorbereitung zur wissenscliaftllchen Ballonfahrt 

Ober die Alpen. Verfasser: Prof. Alb. Heim 1 

II. Die Wega. Verfasser : Kapitän E. Spelterini 12 

A. Konstruktion des Ballons, Netzwerkes und der Gondel .... 12 

B. Gewichtsverhältnisse und Tragkraft 15 

C. Der Gaserzeuger 16 

D. Montiren der Gondel auf Wagen 17 

E. Schlusswort 18 

III. Die Fahrt der Wega. Verfasser: Prof. Alb. Heim 19 

A. In Sitten vor der Abfahrt 19 

B. Die Abfahrt 27 

C. Unser Weg in der Luft und der Abstieg 28 

D. Unser Befinden 40 

E. Land und Berge von oben 53 

F. Wolken und Farben 66 

G. Nach dem Abstieg 78 

IV. Die meteorologischen Ergebnisse der wissenschaftlichen Fahrt des Ballons 
Wega am S.Oktober 1898. Verfasser: Dr. Jul. Maurer . . . . 82 

A. Die instrumentelle Ausrüstung der Wega, Prüfung und Leistungs- 
fähigkeit der Instrumente 82 

B. Die Wahl des Aufstiegstages und Verbindung des Unternehmens 

mit den internationalen Simultanfahrten 93 

C. Meteorologische Beobachtungen und Resultate des Ballons Wega 97 

D. Ergebnisse der übrigen am 3. Oktober 1898 stattgehabten inter- 
nationalen Ballonfahrten 112 



Wie oft im Geiste schwebt' ich über dir 
du inein heiss geliebtes Alpenland ! 
In deine Mitsei sucht* ich einzudriyigen, 
Doch bald ermatteten des Geistes Schwingen, 

Wie oft im Traume flog ich adlergleich 
Ob deinen Kämmen, Gipfeln, Thalern hin. 
Geheimnisvoll verdüstert blieben sie, 
Im Träumte lösten sich die Rätsel nie. 

Nun aber, da ich dich, du schone Welt, 
Mit tvachem Au>g^ aus stolzer Höh* geschaut, 
Verwirrte sich mein Sinyi, und fragenleer. 
Stumm blickt* ich nieder auf der Berge Heer, 

Erkenntnis, du bist loigemessen fern ! 
Dich fasst kein Mensche^iaug' in kurzer Zeit. 
Nur Schritt um Schritt kann unsi'e Forschwng geh*n 
Und durch die Blendung deine Strahlen seh*n. 



I. 

Erste Veranlassung und Vorbereitung 
zur wissenschaftlichen Ballonfahrt über die Alpen 

von 
Dr. Alb. Heim, Prof. 

Meine Fachgenossen werden mit Recht fragen: Wie kommt 
denn ein Geologe dazu, sich mit Luftschififerei zu befassen? Ich 
will kurz erzählen, wie das geschehen ist. 

Als Knabe hat mich die Freude an den Bergen zum Berg- 
zeichnen geführt. Im Alter von zehn bis zwölf Jahren machte ich 
nach eigenen Ideen mein erstes Relief der Tödigruppe in ge- 
branntem Thon, und bald darauf erschien mein erstes, selbst litho- 
graphiertes Panorama (vom Zurichberg) im Buchhandel. Nun 
fieng ich aber mehr und mehi* an zu fahlen, dass man die Berge 
erst verstehen muss, um sie in Zeichnung oder Modellierung richtig 
darzustellen. So kam ich zur Geologie. Eines Tages besuchte 
mich ein alter Herr; er hatte gehört, dass ich Gebirgsreliefs ge- 
macht habe, er möchte sie gerne sehen. Es war Arnold Escher 
von der Linth. Von da an durfte ich ihn auf seinen geologischen 
Excursionen mit den Studenten begleiten. Nachdem ich meines 
Meisters Nachfolger* geworden war, entwickelte sich allmählich 
eine Art Reliefschule, die eine Reform ins Reliefwesen brachte, 
indem sie das Relief von einer rohen mechanischen Übersetzung 
der Karte ins Körperliche zu einer Darstellung hob, die mehr 
bietet als die Karte, zu einer Darstellung auf Grundlage von Natur- 
beobachtung und Naturverständnis. Die Frage, wie die Farben 

bei einem natürlich zu malenden Relief gehalten werden sollen, 

1 



— 2 — 

hat mich oft mit meinen ehemaligen Schülern, die das Reliefwesen 
weiterpflegten (Ingenieur Imfeid, Simon, Becker etc.) beschäftigt. 
Sollen die Farben so gehalten sein, wie sie in der Nähe betrachtet aus- 
sehen, oder so, wie sie von einem Standpunkt aus erscheinen würden, 
der ungefähr im Massstab dem Stand des Beschauerauges entspricht, 
d. h. von hoch in den Lüften gesehen. Wie erscheinen sie von 
dort? Soll man die Farben als durch Luftperspektive bläulich 
gemildert malen oder nicht? Wir haben manches zusammen pro- 
biert ohne zu abschliessendem Resultate zu kommen. In dieser 
halb künstlerischen, halb wissenschaftlichen Frage empfand ich zuerst 
den Wunsch, einmal frei aus den Lüften die Berge zu sehen. 

Profile, Karten und Panoramen schienen mir hie und da nicht 
zureichend, um verwickelte geologische Verhältnisse der Gebirge 
verständlich und übersichtlich dai'zustellen. Hie und da nahm ich 
zu dem Mittel Zuflucht, von einem in den Lüften liegenden, ge- 
dachten guten Standpunkte aus die Ansicht einer Gebirgsgruppe 
zu konstruieren. Auch benützte ich das geologisch kolorierte Relief, 
um geologische Übersichtsbilder von Standpunkten aus zu zeichnen, 
die derart unerreichbar schienen. Wohl kaum auf einem andern 
Wissensgebiete als in dem der Geologie der Gebirge empfindet 
der Forscher so sehr das Bedürfiiis, von wirklicher, nicht nur ge- 
dachter, höherer Warte aus den Zusammenhang der mühsam er- 
worbenen Einzelbeobachtungen zu überschauen, und kein Mittel 
kann hier so gut helfen wie Karte und Relief. Aber diese sind 
indirekt entstanden, sie haben schon die Brille unserer subjektiven 
Beschränktheit in der Auflassung passiert, es ist nicht die reine 
wahre Natur. Sollte es uns nicht vergönnt sein, einmal von einem 
solchen, bisher nur konstruktiv angenommenen öder einem ähnlichen 
Standpunkte aus in der That ein Stück Relief der wirklichen Erd- 
oberfläche zu überschauen und das Bild seiner Farben in uns auf- 
zimehmen? Sollte es nicht möglich sein, in der That von einem 
solchen Standpunkt aus den Zusammenhang der Einzelbeobachtungen 
zu überblicken und damit die Auffiassung, zu der uns die Karte 
fuhrt, zu kontrolieren? Das müsste ein unermesslicher Genuss sein! 



— 3 — 

Da erschien 1891 auf der Bildfläche meines Lebens zum 
erstenmal der Luftschiiierkapitän Ed. Spelterini. Am 11. Sep- 
tember 1891 fuhr ich mit ihm von Zürich aus über Zürichsee und 
Albiskette. Der Genuss war unbeschreiblich. Capitano, sagte ich, 
als wir über dem Albis schwebten: So möchte ich einmal 
hinunter und hineinschauen in mein hauptsächlichstes 
Beobachtungsgebiet, in die Alpen. Wir sollten einmal 
über die Alpen fahren! Er fasste das Wort auf. 

Im Januar 1897 erschien Spelterini wieder bei mir mit dem 
Berichte, er habe den Fall einer Fahrt über die Alpen gründlich 
aeronautisch studiert. Die Sache gehe gewiss. Er hoffe, ich werde 
meinem damals gesprochenen Worte treu bleiben und mithelfen, 
das Projekt einer Ballonfahrt über die Alpen zu verwirklichen. 
Und ich sah mich in meinem damaligen Worte gefangen. Meine 
Erklärung, dass ein so grosses Unternehmen finanziell und moralisch 
nur zu rechtfertigen sei, wenn es sich in erster Linie in den 
Dienst der Wissenschaft stelle, entsprach vollständig den Ab- 
sichten von Spelterini. Ich riet ferner, dass das Unternehmen von 
privater Natur bleiben möchte, da staatliche Organe auf eine im 
Erfolge so unsichere Sache sich nicht einlassen können, und ferner 
dass das Projekt ganz unter dem Namen von E. Spelterini in die 
Welt gesetzt werden solle. 

Im März 1897 erliess Spelterini zur Sammlung der Geldmittel 
sein erstes Cirkular. Demselben war ein Anhang beigegeben, den 
wir hier nachdrucken. Er lautete: 

Die Unterzeichneten messen dem oben gemeldeten Unter- 
nehmen des bekannten erfahrenen und geübten schweizerischen 
Luftschiffers Kapitän E. Spelterini, der bereits 497 glückliche Bal- 
lonfahrten mit über 800 Passagieren ausgeführt hat, eine grosse 
wissenschaftliche Bedeutung bei. Diejenigen darunter, welche für 
die Unternehmung in Betracht fallende Wissenschaften vertreten, 
erklären sich auf den Wunsch des Herrn Spelterini gerne bereit, 
als wissenschaftliche Beratungskommission demselben bei Aufstellung 
des Beobachtungsprogrammes, Anordnung der korrespondierenden 



— 4 — 

Beobachtungen, instrumenteller Ausrüstung, Bestimmung von Ab- 
fahrtsort und Abfahrtszeit etc. etc. beizustehen und ihn zu unter- 
stützen, um die Durchführung seines Planes möglichst fruchtbar 
zu gestalten. Mit dem Wunsche, das Werk möge dem Lande zur 
Ehre gereichen, 

Sommer 1897. 

zeichnen: 

Dr. A. Baltzer, Professor der Geologie, Bern, 

Bob. Billwiller, Direktor der meteorologischen Centralanstalt, 

Zürich, 
Dr. Ed. Brückner, Professor der Geographie, Bern, 
Aug. Dubois, Professeur, Neuchätel, 
Dr. H. Dufour, Professeur de physique, Lausanne, 
Dr. L. Duparc, Professeur de Mineralogie et Geologie, Genfeve, 
Dr. Ed. von Pellenberg, Bergingenieur, Bern, 
Dr. P. A. Porel, Professem*, Morges, 
Dr. Früh, Dozent für Geographie, Zürich, 
Dr. R. Gautier, Professem*, Genöve, 

Dr. Ed. Hagenbach-Bischoff, Professor der Physik, Basel, 
Dr. Alb. Heim, Professor der Geologie, Zürich, 
J. Held, Ingenieur am topographischen Bureau, Bern, 
Dr. Ad. Hirsch, Professeur, Neuchätel, 
Dr. G. W. A. Kahlbaum, Professor der physikalischen Chemie, 

Basel, 
Colonel J. J. Lochmann, Chef de Tarme du Gönie et du Bureau 

Topographique, Berne, 
A. Rilliet, Professeur de physique, Geneve, 
Dr. Ed. Sarasin-Diodati, Genöve, 

Dr. C. Schmidt, Professor der Geologie und Mineralogie, Basel, 
Dr. Ch. Soret, Professeur de physique, Genfeve, 
Emil Suter, Optiker, Basel, 

Dr. M. de Tribolet, Professeur de Mineralogie, Neuchätel, 
Dr. H. Wild, (ehem. Direktor Observat. Petersburg), Zürich. 



— 5 — 

Später schlössen sich noch einige Namen (Prof. Dr. ü. 
Grubenmann, Zürich, Prof. Riggenbach, Basel etc.) an. Am 14. Juli' 
erfolgte eine Mitteilung des Kapitäns, dahingehend, dass die Bal- 
lonfahrt auf Herbst 1898 verschoben werden müsse, um die nötige 
Zeit zur allseitigen gründlichen Vorbereitung zu gewinnen. 

Heute haben wii* die Erlaubniss, mitzuteilen, dass wir das 
Zustandekommen unserer Ballonfahrt vor allem der 
hochherzigen Schenkung von Frau Dr. Fanny Forst geb. 
Biedermann in Coblenz (Rheinlande) verdanken, welche 
mit ihren Mitteln die Erstellung des Luftschiffes Wega 
ermöglicht hat. 

Die immer noch sehr bedeutenden Auslagen der einmaligen 
Füllung und der Fahrt waren zu decken zum Teil durch die Sub- 
skriptionen der edeln Gönner unseres wissenschaftlichen Unter- 
nehmens. In 18 Posten sind im ganzen 5630 Fr. einbezahlt 
worden. Wir fugen die Liste der Geber bei. Ihnen allen sind 
wir zu gi'ossem Danke verpflichtet. Es ist abermals Frau Dr. 
F. Forst, sodann die Herren: Prof. Dr. Tobler-Blumer (Zürich), 
Sulzberger (St. Gallen), C. Weber-Sulzer (Winterthur), Guyer-Zeller 
(Zürich), Felix Cornu (Vevey), Kracht Hotel Baur au Lac (Zürich), 
Prof. Kahlbaum (Basel), Grenus & Co. (Bern), Prof. Forel (Morges), 
Kantonsregierung von Wallis, Munizipalität von Sitten, Prof. Dubois 
(Neuchätel), Prof. Mellinger (Basel), Ed. Werzinger (Basel), Pfister (von 
Baden in Paris), Burgerrat von Sitten, Ed. Monod (Morges). Einige 
Andere haben uns durch Materiallieferungen, unentgeltlich oder zu 
sehr ermässigten Preisen, wesentlich finanziell unterstützt; so beson- 
ders die Herren Gebrüder Sulzer in Winterthur, welche uns 15000 kg 
Eisendrehspäne unentgeltlich und franko nach Sitten sandten, die 
Herren Gebiüder Schnorf in Uetikon, welche ihre Lieferung von 
30000 kg Schwefelsäm'e nur zum halben Preis berechneten, HeiT 
Üsteri-Reinacher in Zürich, welcher uns ein vorzügliches regi- 
strierendes Anäroidbarometer konstruierte und sein Atelier zur In- 
strumentenkontrolle zur Verfügung stellte, ferner Escher Wyss & Co. 
in Zürich, Chemische Fabrik Siegfried in Zofingen. Die Schwei- 






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— 7 — 

der Regel nicht hoch hinauf, wenn die Luft einigermassen klar ist; 
in der Höhe weht dann gleichzeitig SW oder WSW, oder es ist 
auf der Südseite Begen, so dass man nicht darauf rechnen kann, 
von Süden quer über die ganzen Alpen zu kommen; man würde 
wahrscheinlich nach Osten getiieben. Zur Zeit eines barometrischen 
Maximums ist vermutlich zu wenig Windströmung und kein ge- 
nügender Ballongang möglich. Am besten sind klare Tage mit 
einem über der Ostsee stehenden Minimum. In der Höhe weht 
dann stetig SW bis WSW. Solche Tage sind im Herbst zudem 
sehr häufig, in manchen Jahren die Regel. Will man also eine 
Fahrt über ein grosses und mannigfaltiges Stück der Alpen machen, so 
muss man auf eine Fahrt nach Nordost oder Ostnordost rechnen. Die 
Windgeschwindigkeit wird dann in der Höhe 8 bis 10 m per Sekunde 
betragen. Der Ausgangsort muss femer an der Bahn gelegen sein 
und für die vielen Erfordernisse einigermassen Hülfsmittel bieten. 

Als zweckmässigster Ausgangspunkt für den Aufstieg wird 
sodann allseitig Sitten im Wallis bezeichnet. Von da würde 
eine Fahrt mit WSW- Wind uns über die Finsteraargruppe, die 
ürner- und Glarneralpen, über den Walensee nach dem Rheinthal 
führen; Abstieg im Rheinthal zwischen Chur und Bodensee; Länge 
der Linie ca. 200 km. Fahrzeit 6 bis 9 Stunden. Wenn die 
Windrichtung irgend eine andere als die in erster Linie 
gewünschte sein sollte, wenn die meteorologischen Ver- 
hältnisse der Regel entgegengehen, so würde doch jeder 
Wind beim Aufstieg von Sitten uns über eine grosse alpine 
Gebirgsmasse führen, so dass die Frage, ob ein Hoch- 
gebirge überfahren werden könne oder nicht und welche 
Erscheinungen sich dabei zeigen, jedenfalls gelöst 
werden könnte. 

Femer konnte ich versichem, dass es uns in Sitten an werk- 
thätiger freundlicher üntei-stützung seitens der Behörden und der 
Bevölkerung nicht fehlen werde. 

Die Resultate der Sitzung vom 29. Januar 1898 wurden ge- 
druckt den sämtlichen Mitunterzeichnem des ersten Aufrufes mit- 



- 8 — 

geteilt und dieselben gebeten, ihre Bemerkungen und Gedanken 
dazu uns zu übermitteln. Einige der kompetentesten erklärten ihre 
ausdrückliche Zustimmung oder gaben noch einen oder den andern 
ergänzenden Gesichtspunkt kund. 

Unterdessen hatte ich mich zur Aufklärung verschiedener 
Fragen der instrumenteilen Beobachtung mit dem in Sachen so 
sehr erfahrenen Herrn Direktor Prof. Dr. Hergesell in Strassburg 
in Verbindung gesetzt und derselbe war so freundlich, Spelterini 
und mich zur Sitzung der , internationalen aeronautischen Kom- 
mission** einzuladen, welche von der internationalen Meteorologen- 
Konferenz im September 1896 in Paris geschaffen wurde, und sich 
in Strassburg unter seinem Vorsitz vom 31. März bis 3. April 1898 
versammelte. Hier konnten wir aus den Diskussionen sehr vieles 
lernen, was gerade für unsere Aufgabe von Bedeutung war. An 
den Diskussionen nahmen lebhaften Anteil die Herren Assmann, 
Berson, Hergesell, Erck, Moedebeck, Teisserance de Bort, Cailletet, 
Fonvielle, Schmidt etc. etc. Ausserdem hatten wir Gelegenheit, In- 
strumente und Handhabung derselben nach neuesten Erfahrungen 
kennen zu lernen. 

Am 17. Juni 1898 versammelten wir die wissenschaftliche 
Beratungskommission abermals. Diesmal nahm auch Herr Dr. 
Maurer, Direktor-Adjunkt an der Schweiz, meteorol. Centi-alanstalt, 
teil. Ich berichtete zuerst über alles für die Alpenfahrt nützliche, 
was wir in Strassburg gesehen und gehört hatten. Sodann wurden 
einzelne Teile des Beobachtungsprogrammes und besonders die 
Instrumentenliste noch revidiert, ergänzt und definitiv festgestellt. Ich 
will die Instrumentenliste nicht hier aufführen, sondern dies dem 
Berichte des Herrn Dr. Maurer überlassen. 

Auf mein Gesuch hin entschloss sich Hen* Direktor Billwiller, 
namens der schweizerischen meteorologischen Centralanstalt mit 
der Unternehmung „Wissenschaftliche Ballonfahrt über die Schweizer- 
alpen * in der Weise in offizielle Verbindung zu treten, dass er 
seinen Adjunkten Herrn Dr. Julius Maurer mit dessen Einver- 
ständnis zur Teilnahme an unserer Expedition durch die Lüfte ab- 



~ 9 — 

ordnete, wofür wir ihm, wie für seine sonstige thatkräftige Unter- 
stützung unsern herzlichsten Dank auch an dieser Stelle aussprechen. 
Schliesslich wurden die Aufgaben unter die Mitfahrenden definitiv 
verteilt wie folgt: 

Kapitän Spelterini: Leitung des Ballons als Kapitän und 
Photographie aus dem Ballon. 

Prof. Heim: Kontrolle des Horizontalganges des Ballons unter 
fortlaufender Eintragung in die Landkarten mit Zeitnotiz, allgemeine 
Beobachtungen geologischer, geographischer, physikalischer Natur. 

Dr. Maurer: Meteorologischer Teil, Beobachtung an Baro- 
metern, Thermometern, Hygrometern etc. 

Ein Platz war noch frei für Jemanden, der das Unternehmen 
durch Zahlung eines beträchtlichen Fahrgeldes unterstützen würde. 
Drei Anfragen wurden, weil die Fahrtaxe zu hoch schien, wieder 
zurückgezogen. Dann wurde der Platz zugeschlagen dem Herrn 
Dr. Alfred Biedermann, Industiieller in Lodz (Polen), einem lieben 
ehemaligen Schüler von mir, der zwölf bis fünfzehn Jahre früher 
schon manche wissenschaftliche Keise mit mir in den Alpen 
gemacht hatte und uns nicht nur ein vortrefflicher Gefährte, 
sondern auch in vielen Dingen ein vorzüglicher Helfer war. Er 
funktionierte vielfach als geschickter Assistent des Kapitäns, sowie 
als Photograph. 

Wenige Tage bevor wir nach Sitten reisten, besuchte uns 
Prof. Dr. Hergesell aus Strassburg. Als Präsident der inter- 
nationalen aeronautischen Kommission beschäftigte er sich mit 
dem schönen Gedanken, in meteorologischer Eichtung unserer 
Ballonfahrt noch ein bedeutend erhöhtes Interesse dadurch zu 
verleihen, dass gleichzeitig mit uns an verschiedenen Stellen Eu- 
ropas bemannte und unbemannte, zu wissenschaftlicher Beobachtung 
ausgerüstete Ballons aufsteigen sollten. Er selbst entschloss sich, 
mit dem Registrierballon „Langenburg** nach Sitten zu kommen, 
und denselben kurz vor oder nach uns steigen zu lassen, um cor- 
respondierende Beobachtungen aus noch grösseren Höhen zu erhalten. 
Wir unsererseits stellten ihm dankbar und freudig unsern Gaser- 



— 10 — 

zeuger, Schwefelsäure und Eisenspähne etc. zui' Verfügung, so weit 
solche nach Füllung der Wega (wie für den Fall einigermassen 
günstiger Verhältnisse vorauszusehen war), noch übrig bleiben 
würden. Hergesell verständigte die meteorologischen A^ronauten 
in Paris, Berlin, München, Petersburg, und es gelang seiner Um- 
sicht und Hingebung durch telegraphische Berichte von Sitten aus 
thatsächlich den fast genau gleichzeitigen Aufstieg von fünf Ballons 
zu erzielen. In unserem IV. Hauptabschnitt wird auch von den 
Kesultaten die Rede sein, welche der Vergleich der Beobachtungen 
dieser gleichzeitigen Luftexpeditionen gezeitigt hat. Ein solch 
ausgedehnter systematischer Feldzug der Wissenschaft in die 
Lüfte hat wohl noch niemals stattgefunden. Ähnliches wird aber 
nach dieser ersten Erfahrung in Zukunft, unter verschiedenen meteo- 
rologischen Situationen wiederholt, der Wissenschaft gi'osse Dienste 
leisten können. 

Aus den Vorbereitungen nicht technischer Art, welche noch 
getroffen worden sind, will ich nur die interessanteren erwähnen: 

Wir mussten darauf Bedacht nehmen, eventuell in Italien, 
Österreich, Deutschland, Franki-eich niederzusteigen und zu landen. 
In Italien besonders kann dies unter Umständen sogar gefährlich 
werden, indem die Bevölkerung die Luftschiffer als Spione be- 
handeln oder auf das Fahrzeug, als auf einen Drachen, schiessen 
könnte. Unter allen Umständen mussten Vorkehrungen getroffen 
werden, um uns zu sichern. In dieser Richtung geschah 
folgendes : 

1) Auf unser Gesuch an das politische Departement der 
schweizerischen Eidgenossenschaft hat dieses die Güte gehabt, 
durch die schweizerische Gesandtschaft in ßom der italienischen 
Regierung von unserem Projekte Mitteilung zu machen, worauf die 
sämtlichen italienischen Verwaltungs-, Zoll- und Militärbehörden 
der italienischen Grenzgebiete angewiesen worden sind, den Teil- 
nehmern unserer Ballonexpedition für den Fall des Abstieges in 
Italien eine gute Aufnahme und wenn nötig Schutz und Beistand 
zu gewähren. Wir sprechen den Behörden der Schweiz, die diese 



— 11 — 

Vermittlung besorgt haben, sowie denjenigen Italiens für ihr freund- 
liches Entgegenkommen unsern Dank aus. 

2) Um unser Thun von ferne erkennbar, beim Abstieg gleich 
als Werk des Friedens und uns selbst als Hulfsbedürftige zu be- 
zeichnen — denn das sind die absteigenden Ballonfahrer stets — 
kannte ich kein anderes Merkmal, als die Fahne der internationalen 
Sanitätsvereinigung und Samaritervereinigung, das rote Kreuz im 
weissen Feld. Dies ist überall bekannt und konnte uns überall 
helfen. Auf mein Gesuch an den Centralpräsidenten der Vereinigungen 
zum roten Kreuz, Herrn Dr. Stähelin in Aarau, wm-de mir ohne 
Schwierigkeit die Benützung dieses Zeichens für den ungewöhnlichen 
Fall gestattet. An unserm Ballon wurden in der Folge zwei 
grosse Fahnen angeheftet, auf der einen Seite das weisse Kreuz 
im roten Feld, unsere schweizerische Fahne, auf der andern Seite 
das rote Kreuz im weissen Feld. Bei dieser Gelegenheit empfand 
ich den Mangel eines Abzeichens einer wissenschaftlichen Unter- 
nehmung. Ein solches sollte in internationaler Konferenz festge- 
stellt und bekannt gegeben werden. Es könnte oft grosse Dienste 
leisten — freilich wäre es auch da schwierig. Missbrauch entgegen 
zu treten. 

3) Sollte uns der Wind über den Gotthard tragen, während 
gerade dort die Übungsgeschosse der Befestigungstruppen von 
einem Thal über den Berg ins andere Thal fliegen? Vorsichts- 
halber setzten wii* uns auch hierüber mit der eidgenössischen 
Militärbehörde in Verbindung und auf das Telegramm, das imsere 
Abfahrt meldete, sollte das Schiessen eingestellt werden — freilich 
kamen wir nicht in jene Bichtung. 

Auf die enorme Arbeit der ins Einzelne gehenden finanziellen 
und besonders technischen Vorbereitung, welche Spelterini und ich 
zusanmien im Verlaufe des Sommers zu bewältigen hatten, soll 
nicht näher eingetreten werden, da diese Mühen kein weiteres In- 
teresse beanspruchen. 



II. 
Die „Wega" 

von 
Kapitän E. Spelterini. 

A. Konstraktion des Ballons, Netzwerkes and der Gondel. 

Der Ballon »Wega* ist rein im Hinblick auf den wissen- 
schaftlichen Zweck der Fahrt konstruiert worden. Seine Grösse 
und Stärke erlauben, wirkliche Luftexpeditionen von langer Dauer 
und in grosse Höhen zu unternehmen. Der Auftrag ziu* Her- 
stellung des ganzen Luftschiffes wurde Herrn Georges Besan9on, 
Ballonfabrikanten in Paris, übergeben. 

Die Dimensionen und die Konstruktion des Ballons Wega 
sind die folgenden: 

Der Ballon ist vollständig kugelförmig. 

Durchmesser des gefüllten Ballons . . . 18,441 m 

Umfang 57,84 „ 

Theoretischer Inhalt 3268 m» 

Inhalt mit Wasserstoffgas gefüllt und da- 
durch etwas gedehnt („praktischer Inhalt**) 3350 m* 

Obei-fläche 1065 m« 

Der Ballon ist hergestellt aus japanesischer Seide (Pongh^e) 
mit linearer Zerreissungsfestigkeit von 1000 bis 1500 kg per m*. 
Jeweilen 66 trapezförmige Stücke (panneaux) sind zu einem Meri- 
dionalstreifen (fuseau) zusammengenäht und die ganze Kugel ist 
aus 48 solchen Meridionalstreifen gebildet. Im ganzen setzt sich 
der Ballon somit aus 3168 Seidenstoffstücken zusammen. Ausser- 
dem sind gegen die Pole hin Verdoppelungen auf 480 dieser 
Seidenstücke angebracht, wodurch die Gesamtzahl der SeidentrapezOf 



— 13 — 

die zusammengenäht sind, auf 3648 steigt. Es wurden hiefür 165 
Bohseidenstücke von 16 bis 18 m Länge auf 48 bis 50 cm Breite 
verarbeitet. Die laufende Gesamtlänge der Nähte beträgt 4648 m. 

Auf der innern Seite des Ballons wurden sechs leichte Fir- 
nisanstriche und an der Aussenfläche vier solche zur Dichtung an- 
gewendet. Einen elften äusseren Anstrich gaben wir dem Ballon 
während der Fällung in Sitten, um die üblen Folgen eines teil- 
weisen Zusammenklebens in grosser Hitze in Paris vor der Ab- 
sendung nach Zürich wieder gut zu machen. 

Der Ventilring nach System G. Besan9on hat einen inneren 
Durchmesser von 106 cm und einen äusseren Durchmesser von 125 cm. 
Der Bing für den Füllansatz, ausgeführt nach meinen speciellen 
Angaben, hat die gleiche Grösse. Der Füllansatzärmel verjüngt 
sich im oberen Teile nach unten konisch und hat unten noch einen 
Durchmesser von 86 cm. Seine Länge beträgt 2,75 m. Der 
Aufhängering (System G. Besan9on) hat einen inneni Durchmesser 
von 1,16 m imd äussern von 1,26 m, seine Dicke in der Höhen- 
richtung beträgt 10 cm. Er ist äusserst sorgfältig aus sechs Lagen 
Nussbaumholz gearbeitet. 

Das Netz aus Anjou-Hanf, getränkt mit Eatechu, besteht, 
im Meridian gezählt, aus 112 in Parallelkreisen geordneten Maschen- 
reihen, von denen jede 192 Maschen (im Parallelkreise gezählt) 
enthält. Das ganze Netz hat somit 21504 Maschen, hergestellt 
aus 11250 m Netzseilen. Das gesamte Netzwerk mit Einschluss 
des Kranzes um das Ventil, des Äquatorialgürtels, der „Gänse- 
füsse** (Zusammenfassungen von je zwei Maschen in eine stärkere 
Seilgabel) und der 24 Aufhängeseile für den Bing, zu welchen sich 
die „Gänsefüsse* vereinigen, repräsentiert eine Seillänge von 12100 m. 
Die 36 oberen kleineren und engeren Maschenreihen des Netzes 
sind aus Seilen von 3,6 mm Durchmesser, 10,05 g schwer per 
Meter, und von 110 kg Zerreissungsstärke gebaut. Dieser Teil des 
Netzes kann also eine Last von 42140 kg tragen. Der übrige 
Teil des Netzes mit Ausnahme einer Zone am Äquator und am 
unteren Teile besteht aus 4 mm dicken Seilen von 12,6 g per Meter 



— 14 — 

und 250 kg ZerreissuDgsstärke, Gesamttragkraft dieses Netzteiles 
96000 kg. Fünf Maschenreihen am Äquator und die vier untersten 
Maschenreihen des Netzes sind verstärkt durch Benutzung eines 
Seiles von 472 mm Dicke, 16 g per Meter und 300 kg Zerreissongs- 
stärke. Die Tragkraft dieser am meisten beanspruchten Teile des 
Netzwerkes beträgt somit 192 X 300 X 2 = 115,200 kg. Die 
erste Reihe der »Gänsefüsse* besteht aus 96 Seilgabeln, von 6,5 mm 
Dicke, 33 g schwer per Meter und 600 kg stark. Dieselben 
sind mittelst 192 Hülsenringen „Schoten" an den Maschen be- 
festigt; Gesamttragki'aft dieser Reihe von Seilgabeln 115,200 kg. 
Die zweite Reihe der Gänsefusse besteht aus 48 Seilgabeln an 
96 Hülsenringen befestigt. Diese Seile haben 9 mm Dicke, 66 g 
Gewicht per Meter und sind 1 100 kg stark; Gesamttragkraft dieser 
Reihe 48 X 1100 X 2 = 105,600 kg. Die dritte Reihe der 
Gänsefusse hat noch 24 Seilgabeln befestigt mit 48 Hülsenringen 
an der vorhergehenden Reihe. Die hierfür verwendeten Seile sind 
127« mm dick, 132 g schwer per Meter und tragen 2050 kg; 
Gesamttragkrafl dieser Reihe = 98400 kg. Endlich folgen die 
24 Aufhängeseile befestigt an 24 Hülsenringen, sie haben 16 mm 
Dicke, wiegen 228 g per Meter und haben 3300 kg ZeiTeissungs- 
widerstand. Der Ring ist somit mit einer Totaltragkraft von 
79200 kg am Netze befestigt. 

Das Netzwerk enthält im ganzen 360 Hülsenringe, die stets 
zur Übertragung des Zuges aus zwei Seilen in eines dienen. 

Die Seile, mit welchen der Gondelkorb am Ringe befestigt ist, 
sind in den Korb eingeflochten und gehen von der einen Seite durch 
den Boden nach der anderen Seite ohne ünterbruch durch. Je 
zwei gegenüberliegende Aufhängeseile bilden also eigentlich ein 
Stück. Es sind ihrer 12 Aufhängeseile der Gondel von 23 mm 
Durchmesser, 416 g per Meter, 5500 kg Tragkraft, was eine 
Tragkraft der Korbaufhängung am Ring von 66000 kg ergibt. 

Der Gondelkorb ist aus Meerrohr und Weiden geflochten. Er 
hat 1,03 m Höhe, 1,85 m Länge und 1,43 m Breite. Diese Di- 
mensionen sind bedingt durch die Thürweiten der Eisenbahnwaggons, 



( 



■1; 



— 15 — 

B. Gewichtsverhältnisse und Tragkraft. 

Das Gewicht des Luftschiffes samt Ballast und Inhalt be- 
rechnet sich aus folgenden Zahlen: ^ 

Ballonhülle (Seide und Firnis) .... 480 kg 

Netzwerk 200 , 

Pahrkorb 78 , 

Sitzkörbe (für Apparate und Sitze) ... 8 , 

Korbdecke 10^ 

Decken zum Verpacken des Ballons . . 16 „ 

Sack zum Verpacken des Netzes ... 8 ^ 

Ventil 18 , 

Aufhängeiing 26 ^ 

Füllansatzring 10^ 

Ventilleinen 5 „ 

Anker 38 ^ 

Ankerseil 29 „ 

Guiderope, 160 m lang 58 ^ 

Seile etc 8 „ 

2 Fahnen 2 ^ 

Fahi-zeug 994 kg 994 kg 
Ausrüstung: 

6 Photographieapparate mit Platten . . 30 « 
Meteorologische Instrumente imd deren 

Plazierungskorb 50 ^ 

Bergausrüstung 8 ^ 

Signalraketen in Blechrohr 5 ^ 

3 Stahlflaschen mit komprimiertem Sauerstoff 44 ^ 

Kleiner Tisch aus Holz 2 „ 

Keisegepäck (Überzieher, Decken etc.) . 25 „ 

Proviant 12 „ 

4 Personen 320 „ 

496 kg 496 , 

Übertiag 1490 kg 



7 t . 



- 16 — 

Übeiirag 1490 kg 

45 Säcke Ballast zu 25 kg = . , . . 1125 kg 

20 , , , 20 ,=.... 400 , 

Steigkraft bei der Abfahrt 3 Säcke ä 25 kg 75 ^ 



1600 kg 1600 , 



3090 kg 



Der Ballon war im Moment der Abfahrt nicht ganz voll. 
Da wir von 1 m* Wasserstoffgas in der Höhe von Sitten (510 m) 
mid bei 15^ einen Auftrieb von ca. 1100 g annehmen können, so 
müssen im Ballon im Momente der Abfahrt sich ungefähr 2810 m' 
Wasserstoffgas befunden haben, um 3090 kg Tragkraft zu ent- 
wickeln. 

Nach der Landung waren noch 60 kg Ballast unverwendet. 
Auf der ganzen Fahrt sind somit 62 Sandsäcke mit 1465 kg Sand 
ausgeworfen worden. Die grösste Menge Ballast erforderte der 
erste Aufstieg und die Nähe der Wolken vor den Diablerets. Wir 
haben zwischen 25 und 30 Säcke Ballast auswerfen müssen, bevor 
wir 4200 m Meerhöhe erreicht hatten. Nachher war lange Zeit 
der Ballastverbrauch sehr gering. 

C. Der Gaserzeuger. 

Der Gasgenerator, mit welchem in Sitten das Wasserstoffgas 
zur Füllung hergestellt wurde, war von der Firma Godard & Sourcouf 
in Paris, konform deren patentierten Specialkonstruktion, hergestellt 
und zu unserer gi-ossen Beruhigung uud Freude die Gasbereitung 
von Herrn Sourcouf selbst geleitet worden. Der Apparat erwies 
eine kontinuierliche Leistungsfähigkeit von 100 bis 110 m' Wasser- 
stoffgas per Stunde. Er ist auf einem Wagen gebaut und besteht 
aus einem Pumpwerk, zu dessen Betrieb ein kleiner Dampfkessel 
diente. Das Pumpwerk saugt regulierbar 3 Teile Wasser auf 
1 Teil Schwefelsäure und sendet sie in ein grösseres Aufhahmsrohr. 
Die so gemischte Flüssigkeit wird darnach durch zwei gi'osse ver- 
bleite, mit gereinigten Eisenspähnen gefüllte Eisentürme von unten 



— 17 — 

nach oben gepresst und dadurch das Wasserstoffgas erzeugt, wobei 
gleichzeitig die nun zu Eisensulphatlösung verwandelte Flüssigkeit 
ausgestossen wird. Das Gas wird hierauf zur Abkühlung durch einen 
beständig rotierenden Regenapparat geleitet und in diesem, natür- 
lich hermetisch verschlossenen, Bezipienten gereinigt und gewaschen. 
Von da muss das flüchtige Gas durch weitere zwei Bezipienten, um 
an deren Inhalt, kaustische Soda und Chlorcalcium, mitgerissene 
Säureteile und Feuchtigkeit abzugeben, denn Säuregehalt würde 
die Ballonseide allmählich angreifen. Endlich, fast völlig chemisch 
rein, gelangt es durch den Ausströmungsheber in den zum Ballon 
führenden seidenen Füllschlauch. 

Wir hatten zur Gaserzeugung in Sitten 30000 kg Schwefel- 
säure (von 60® Baumö) und über 20000 kg Drehspähne von 
Weicheisen bereit. Wir verbrauchten, soweit es sich bestimmen 
Hess, durchschnittlich ungefähr 772 kg Schwefelsäure und 5 kg 
Eisen um 1 m® Wasserstoffgas zu erhalten. Da wir nicht nur 
den Ballon Wega zu füllen, sondern auch noch die Verluste der 
Wartezeit zu decken und den Sondierballon „Langenburg" mit Gas 
zu versehen hatten, verbrauchten wir unseren ganzen Schwefelsäure- 
vorrat bis auf die unreinen Beste, die in jedem Cistemenwagen 
am Grunde sitzen blieben. 

D. Montieren der Gondel auf Wagen. 

Um die letzten Vorbereitungen zur Abfahrt möglichst rasch 
erledigen zu können, liess ich einen blos 35 cm hohen Brücken- 
wagen von 2000 kg Tragh'aft bauen. Die Plattform des Wagens 
hatte 1,80 m Länge und 1,50 m Breite. Drei Tage vor der 
Abfahrt wurde die Gondel auf diesen Wagen gestellt und all- 
mählich fertig mit Ballastsäcken, Sauerstoffbomben, photographischen 
Apparaten und anderem montiert. Die Ballastsäcke waren so ein- 
gerichtet, dass die vier Tragschnüre sich um einen Hülsenring ver- 
banden. Vom Hülsenring und ausserdem noch an ihrer Unterseite 
waren sie mittelst Schnüren an den Seilöseu rings um den Fahr- 
korb angebunden. So mussten, um den Ballast zu entleeren, keine 



— 18 — 

Haken mühsam ausgehängt werden, sondern es brauchte nur die 
obere kleine Anbindschnur mit dem Taschenmesser durchschnitten 
zu werden, wodurch der Sack sich sofort entleerte und umgekehrt 
hängen blieb. 40 solcher Ballastsäcke waren auswendig an der Gondel 
befestigt, 25 weitere standen im Innern des Korbes. So wurde die 
Gondel zur Befestigung an den Aufhängering vollständig fertig 
gestellt. Eine Stunde vor der Abfahrt, während man die Säcke am 
unteren Teil des Netzwerkes Masche für Masche tiefer setzte, Hess 
ich den Wagen mit der darauf stehenden fertig montierten Gondel 
unter den Ring schieben. Nachdem die Gondel am King befestigt 
war, hatten wir nur noch Anker, Guiderope und einige Instrumente 
an derselben anzubringen, was alles in Zeit von einer halben Stunde 
geschehen konnte. Auf diese Weise konnten die letzten Vorberei- 
tungen zur Abfahrt um wenigstens zwei Stunden abgekürzt werden. 



Wenn wir auch unserefi Zweck nicht ganz erreicht haben, 
indem unsere Fahnichtung von der gewünschten abwich, so hat uns 
doch dieser erste wissenschaftliche Versuch, im Ballon über die 
Alpen zu fahren, wichtige Resultate ergeben. Wir haben die Ge- 
wissheit gewonnen, dass bei hellem, wolkenfreiem Himmel mit 
einem Winde von 5 bis 7 m per Sekunde die Alpen überfahren 
werden können. Die Meinung, welche einzelne Gelehrte ausge- 
sprochen hatten, dass das Luftschiff, wenn es über den Grat einer 
grossen Berggruppe gelangt sei, wieder zurückgetrieben werde 
durch eine Kreisbewegung der Luft, hat sich glücklicherweise nicht 
bestätigt. Im Gegenteil, als wir kaum über dem Grat der Dia- 
blerets angelangt waren, wurde dort der allgemeine Luftstrom viel 
stärker ohne irgend eine Richtungsänderung zu erfahren. Ich hoffe, 
dass es mir vergönnt sei, später den Versuch zu wiederholen und 
damit der Wissenschaft einen Dienst zu erweisen. 

Ich überlasse es meinen Freunden, Herrn Prof. Alb. Heim 
und Herrn Dr. Jul. Maurer, die Beobachtungen und Resultate der 
Expedition vom 3. Oktober 1898 darzulegen. 



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I ä s= 



;.X, Dtr Hing wird am Netzwerk ül'tr Jl-iii l'ahrkorl' befa 
die S-indsäckc liaiigLii nocli an dai NetzgaliL-ln, 



7 



m. 
Die Fahrt der Wega 

von 
Dr. Alb. Heim, Prof. 

A. In Sitten vor der Abfahrt. 

Wie es bei so komplizierten Unternehmungen leider stets 
zu gehen pflegt, wo hundert Dinge genau zum Klappen gebracht 
werden müssen, so geschah es auch hier: Schon die Fertigstellung 
des Luftschiffes war in Paiis um sechs Wochen verzögert worden. 
Sodann entstand bald da, bald dort eine Unterbrechung im Gang 
der Dinge. So gieng leider das ununterbrochen herrliche Wetter 
des September unbenutzbar vorüber und wir kamen in Zeiten 
wechselnder und weniger günstiger Situationen. 

Am 19. September wurde das Luftschiff mit Zubehör in 
Zürich in einen Eisenbahnwagen verpackt. Am 20. fuhr Spelterini 
damit nach Sitten. Dort war unterdessen auf der sehr günstig 
gelegenen weiten, einerseits von einer doppelten Allee mächtiger 
Bäume, andererseits von Oebäuden umrahmten „Place d^ai'mes du 
Planta*, welche uns die Municipalität von Sitten zur Benutzung 
freimütig überlassen hatte, eine Einrahmung von 50 m im Gevierte 
und drei Meter Höhe in Bretterwand hergestellt worden. Der 
Gaserzeugungsapparat mit Aufsteiggerüste und der Dampfkessel 
standen an ihrem Platze. Daneben waren die ca. 25000 kg 
Weicheisendrehspähne aufgehäuft. In den uns freundlichst zur 
Verfügung gestellten Magazinen des Hen*n Fontaine standen die 
Fässer mit Ätznatron, Chlorcalcium und eine Menge von uns im 
voraus dorthin gesandter Gegenstände ; die drei Cystemenwagen mit 



— 20 — 

zusammen 30000 kg Schwefelsäure aus den Fabriken der Gebrüder 
Schnorf in Detikon befanden sich auf einem Nebengeleise im 
Bahnhof Sitten. Die Wasserzufuhr aus den «bisses* erwies sich 
als unzulänglich wegen zeitweiser Trübung des Wassers. Herr 
Dumont, Besitzer eines Wasserversorgungswerkes in Sitten, hatte 
uns Anschluss an seine Leitungen und unentgeltliche Entnahme 
der für die WasserstoflFgasfabrikation notwendigen Wassermenge 
angeboten, was wir dankbar annahmen. Aber Zuleitung, Ableitung 
der Abwasser in einen städtischen Abwasserkanal und noch eine 
Menge anderer Einrichtungen waren erst zu treffen. 

Herr Ingenieur Ed. Sourcouf aus Paris, begleitet von Madame 
Sourcouf, traf bald nach Spelterini in Sitten ein. Er hatte es zu 
unserer grossen Beruhigung übernommen, den von ihm konstruierten 
Gaserzeugungsapparat selbst in Gang zu biingen und die Wasser- 
stoffgasfabrikation zu leiten. Dui'ch seine grosse Erfahi'ung und 
Geschicklichkeit hat er uns überdies noch viele wichtige Dienste 
erwiesen, für die wir ihm aufrichtig dankbare Herzen bewahren. 

Während einigen Tagen war auch Herr Georges Besan9on 
aus Paris, der Verfertiger der Wega, bei uns in Sitten. Später 
musste er leider zurückreisen. Sein erster Angestellter, Herr 
Cabalzar, hingegen war von Spelteiini für die ganze Zeit zui* Hülfe 
engagiert worden. 

Die Herren Gebrüder Schnorf aus üetikon schickten uns einen 
ihrer besten Oberarbeiter, um die Entleerung der Schwefelsäure- 
cysternen und das Überfüllen und Transportieren der Schwefelsäure 
vom Bahnhof auf den Operationsplatz einzuleiten und zu überwachen. 
Herr Ingenieur A. Schmidt in Zürich hatte uns seinen Monteur 
Louis Gehrer zur Besorgung des Dampfkessels und zum Betrieb 
der Pumpen des Gaserzeugers gesendet. Herr A. Dreyer, mein 
Präparator an der geologischen Sammlung in Zürich, hat überall 
durch seine Intelligenz und sein technisches Geschick sich in 
höchstem Masse nützlich zu machen verstanden, er hatte im be- 
sondern dann nach unserer Abfahit für uns alle Rückstände, 
Packereien etc. zu besorgen. Der hohe Regierungsrat von Wallis 



— 21 — 

hatte uns in zuvorkommendster Weise für Tag und Nacht seine 
besten Polizeiwachen zur Verfugung gestellt. Und wenn irgendwo 
etwas fehlte, wendete man sich an meinen vortrefftichen Freund, 
Herrn Kantonsforstmeister Ant. de Torrentö, der uns von Anfang 
an alle Wege geebnet und vieles vorbereitet hatte, oder an den 
Herrn Stadtpräsidenten de Bivaz, oder an einen der Herren Re- 
gierungsräte, oder an Herni Fontaine, PfäflFerle etc. — stets war 
man des freundlichsten empfangen und stets wurde alles was 
möglich war gethan, um uns zu helfen. Man war unter lauter 
Freunden. 

Am Morgen des 26. kam ich nach Sitten. Herr Dr. Bieder- 
mann war schon da und zu meiner grössten Freude auch mein 
Freund Prof. Dr. F. A. Forel aus Morges. Er blieb treu bei uns 
und mit uns. Er half uns wo er konnte, er versorgte die Welt 
durch die Gazette de Lausanne mit authentischen Nachrichten 
über den Gang der Dinge in Sitten, er beriet mit uns, er nahm 
sich in freundlichster Art oft der Zuschauer an und gab ihnen 
Erklärungen. (Fig. 1.) 

Am 26. wurde das Netz über den Ballon gelegt und das 
Einsetzen des oberen Normal- Ventilos und Beissventiles mit grösster 
Umsicht geregelt. Herr Georges Besan9on war an diesem Tage 
noch in Sitten und besorgte dies zusammen mit Spelterini. Dann 
kam bald Herr Prof. Dr. Hergesell aus Strassburg und Dr. Maurer 
aus Zürich. Ersterer brachte seinen Ballon-sonde »Langenburg* 
mit, um ihn wo möglich vor der Wega steigen zu lassen und die 
Verständigung mit den andern gleichzeitigen Ballonfahrern in Paris, 
Berlin, München, Wien, Petersburg durchzufühi'en. 

Die Füllung der Wega begann am 26., abends 5 Uhr. Sie 
gieng ziemlich langsam von statten. Nicht dass der Apparat nicht 
seine Versprechungen gehalten hätte, allein allerlei Zufälligkeiten 
stellten sich in den Weg : Einmal hatte sich ein Stein in die Wasser- 
leitung verirrt und geriet in den Ausflusshahn. Ein andermal hatte 
ein ungeschickter Arbeiter im untern Teile der Stadt einen Hahn 
offen gelassen, so dass das Reservoir der Wasserversorgung sich 



— 22 — 

entieerte. Es verstrichen mehi'ere Stunden, bis die Ursache des 
Wassermangels entdeckt war. Am 1. Oktober war der Ballon beinahe 
voll. Gewaltig hatte sich die goldbraune, während des Steigens vorweg 
nochmals firnisste, erst von 196, nachher von 392 Sandsäcken am 
Netz gehaltene Kugel emporgehoben und mit fast mathematischer 
Regelmässigkeit in das Netzwerk hineingetrieben. Nachtarbeit war 
vermieden worden, teils, weil dieselbe niemals präzis ausgeführt 
werden kann, teils weil wir nicht genügendes Hülfspersonal hatten, 
um einen richtigen Wechsel zu organisieren. Wir alle hatten ÜEtöt 
immer vollauf zu thun. (Vergl. Fig. 1.) 

Die Tage in Sitten werden uns allen in bester Erinnerung 
bleiben. Man arbeitete in voller Harmonie zusammen und man 
lernte von einander. Am 29. September, abends, fand im deko- 
rierten Saale des Hotel de la Poste ein belebtes Bankett statt, 
welches die Municipalität von Sitten den Ballonfahrern zu Ehren 
gab. Herzliche Worte wurden gewechselt zwischen denen, die auf 
der Erde zurückblieben und uns so tüchtig unterstützt hatten, einer- 
seits und denen, die die Luftreise anzutreten bereit waren, an- 
dererseits. 

Es sei mir gestattet, bei dieser Gelegenheit einige Worte 
über eine Frage einzuflechten, die an diesem Bankette auch in 
den Reden und im Privatgespräche lebhaft erörtert wurde : Ist die 
Ballonfahrt nicht ein tollkühnes, nicht zu verantwortendes Wagnis? 

Eine Ballonfahrt ist bei schlechter stürmischer Witterung 
gewiss sehr gefährlich, sie wird es auch auf jeden Fall, wenn man 
über 6500 m geht. Bei einigermassen sicherer und ruhiger Wit- 
terung und in Höhen unter 6000 m verhält es sich anders. Wenn 
alles Material und die Konstruktion des Luftschiffes gut ist, wenn 
alles gründlich vorbereitet wird, wenn der leitende Kapitän um- 
sichtig und erfahren ist und die nötigen Qualitäten besitzt, dann 
halte ich bei guter, unten ruhiger Witterung eine Ballonfahrt bis 
5000, höchstens 6000 m durchaus für nicht gefährlicher als z. B. 
eine Ersteigung des Wetterhornes, des Tödi, des Monte Rosa oder 
ähnliches, die heutzutage Tausende ohne jedes Bedenken und ohne 



— 23 - 

jedes Bewusstsein einer kühnen That vollbringen. Ändert die 
Witterung plötzlich, so können wir aus 5000 m Höhe im Ballon 
in einer halben Stunde absteigen, während der Bergsteiger der 
Wettergefahr nicht so schnell entgehen kann. Die Ballonfahrt ist 
uns nur noch zu ungewohnt und zu fremd. Die Fahrt selbst bietet 
fast keine Gefahren, es ist keine Entgleisung, kein Zusammenstoss, 
kein Zusammenbruch einer Brücke unter uns zu fürchten. Warum 
sollte der Ballon eher zerspringen als der Dampfkessel, warum das 
Netzwerk eher zerreissen als die Wagen-Kuppelung? Die Sicherheit 
ist beim Ballon entschieden grösser. Der einzige kiitische Moment 
ist immer nur die Landung und zwar die Landung bei Wind. 
Mittelst Guiderope, Anker, ausreichendem Ballast und Beissklappen 
neben Normalventil kann man aber auch die Landung weit mehr 
als frülier handhaben. Die Thatsache ist bei der Beurteilung der 
Gefahr doch auch nicht ausser Acht zu lassen, dass es LuftschifFer 
gibt und gegeben hat, welche mehrere hundert Fahrten mit Passa- 
gieren ausgeführt haben. Spelterini steht nach seiner 502. Fahrt 
noch unverletzt vor uns und keiner seiner Passagiere hat Schaden 
gelitten. Von den französischen, russischen und deutschen Me- 
teorologen haben manche z. T. auch schon 50 und 70 Fahrten 
gemacht, ohne Verletzungen davon zu tragen. Dagegen verschwinden 
die wenigen Unglücksfalle als Ausnahmen. 

Gewiss handelt es sich in unserem Fall um etwas mehr Un- 
sicherheiten, als bei einer gewöhnlichen Ballonfahrt mit Leuchtgas- 
füllung. Noch kein Ballon hat eine Hochgebirgsregion überfahren; 
wir wissen nicht, ob und wie das gehen wird. Wir wissen nicht, 
wie hoch wir steigen müssen, um über zurückziehende oder 
senkende Lokalwinde zu kommen, ohne an den Bergkämmen anzu- 
stossen. Wir wissen nicht, ob wir aus der wilden Gebirgsregion 
herauskommen, in welcher die Landung sehr gefährlich werden 
könnte. Aber je gründlicher man sich auch diese Möglichkeiten 
überlegt, desto mehr schwindet das Gefühl der Gefahr. 

Mein Beruf bringt mich sehr oft in Gefahren, die entschieden 
viel grösser sind. Man gewöhnt sich daran, man überwindet 



— 24 — 

die Ängstlichkeit, man bleibt sorgfaltig und umsichtig, ohne toll- 
kühn zu werden. Meine Knochen habe ich einst, ohne mich 
in Gefahr zu begeben, auf schönster Strasse gebrochen (über- 
fahren). Trotz der Wegafahrt zähle ich mich doch zu den ängst- 
lichen Naturen. Ich habe nui* das Gefahl, eine ungewohnte, aber 
nicht eine besonders kühne That gewagt und vollbracht zu 
haben. Für jedermann ist^s nicht, aber es braucht dazu keine 
Tollkühnheit. 

Eine Ballonfahrt bei schönem Wetter ist aber ein unermess- 
licher Genuss; ich fühle, dass er leicht zur sportlichen Leidenschaft 
werden könnte. Mit Umsicht beb'ieben weniger gefährlich als 
mancher Sport, hindern nur die Kosten des Luftschiffes und der 
Fahrtbereitung eine sportliche Entwicklung der Luftschiflferei. 

An einem andern Abende in Sitten hielt Prof. Forel in dem 
Stadthaussaale einen öffentlichen Vortrag über die Ballonfahrt, 
worin er den so sehr interessierten Bewohnern Sittens in vor- 
trefflicher fassbarer Weise sowohl die Technik des Luftschiffes und 
der Luftschiffahrt als auch die Zwecke unserer „Fahrt über die 
Alpen* darlegte. 

Am Tage kamen die verschiedenen niedrigeren und höheren 
Schulabteilungen mit ihren Lehrern den ab&hrtbereiten Ballon 
zu sehen. 

Am 1. Oktober war das Wetter schlecht: Nordwind und 
Neuschnee auf den Bergen bis 1800 m hinab! Am 2. Oktober 
war es besser, aber unsicher. Forel kennzeichnete die Stimmung, 
die sich unser aller in diesen Tagen des unsicheren Wartens be- 
mächtigte, in seinen Korrespondenzen wie folgt: 

„Jetzt begreife ich, warum Andree aus dem Hafen der Virgo 
im Norden von Spitzbergen am 11. Juli 1897 verreist ist und 
nicht länger gewartet hat, trotz den mehr als schlechten Be- 
dingungen seines Abfahi'tstages : Er konnte die Qual der ünent- 
schiedenheit nicht mehr länger ertragen. 

„Unsere Freunde, die Luftschiffer in Sion, leiden unter den 
gleichen Ungewissheiten; sie sind gequält von den gleichen Schwie- 



— 25 — 

rigkeiten, Entschlüsse zu fassen, und diese Ungewissbeiten sind 
eine peinliche Lage. Das Wetter im Rhönethal ist schön, es ist 
ordentlich im Norden der Schweiz. Unter diesen Umständen wäre 
der Aufstieg möglich, aber er würde in den Resultaten wahr- 
scheinlich nur halbwegs gelingen. 

„Wie wird es morgen sein? Wird das Wetter besser oder 
schlechter sein? Ist diese Reihe atmosphärischer Depressionen, 
kleiner Cyklonen, welche das westliche Europa in den letzten 
Tagen bestrichen haben, abgelaufen und wird das Wetter wieder 
beständig? Oder wird es noch lange so fortgehen und uns noch 
weiter veränderliches Wetter bringen? Werden die hohen Luft- 
drucke, welche uns von der Bretagne gemeldet sind, unmittelbar 
zu uns kommen? Andererseits ist aber die Jahreszeit sehr vor- 
gerückt, der Herbst ist da, was thun? »Die Gelegenheit hängt an 
einem Haar," sagt ein Sprichwort, soll man sie entwischen lassen?* 

Einige Bomben komprimierten Wasserstoffgases aus der vor- 
trefflichen Wasserstoff- und Sauerstofffabrik von Luzern (Herr In- 
genieur Gmür) dienten uns, die kleinen Pilotenballons zu füllen. 
Ein solcher aus Eautschuck, den wir am 2. Oktober morgens 
7 Uhr steigen Hessen, fiel nach telephonischem und telegraphischem 
Berichte des Herrn F. Comu, vormittags ca. 11 Uhr, in Corseaux 
oberhalb Vevey. Er hat somit den Alpenkamm der Diablerets von 
Südost nach Nordwest überfahren. 

Die gleiche Fabrik in Luzern hat uns auch drei Sauerstoff- 
bomben geliefert, die wir auf die Luftreise mitnahmen, und, hätte 
dieselbe schon vor der Bestellung des Wasserstoffapparates durch 
Spelterini existiert, so hätten wir vielleicht eine Möglichkeit finden 
können, von dort unsern Ballon füllen zu lassen. 

.Die meteorologischen Stationen der schweizerischen Ebene 
und der nördlichen Alpengipfel (Pilatus, Säntis, Luzern, Bern, 
Zürich etc.), immer wieder per Telephon und Telegraph befragt, 
gaben zweifelhafte und entmutigende Antworten. Die Telegraphisten 
und Telephonisten von Sitten, deren Thätigkeit unermüdlich war, 
waren stets auf der Lauer. Es war ein Kriegsrat in Permanenz, 



— 26 — 

der die Wetterkarte besprach, den Horizont befi-ug, die Barometer 
beklopfte. Die Tage vergiengen und die Kanone, welche auf 
Wunsch des Stadtrates der Bevölkerung das letzte Büsten zwei 
Stunden vor der Abfahrt melden sollte, blieb stumm.* 

^Ein gefällter Ballon besitzt keine unerschöpfliche Geduld. 
Er kann nicht auf unbestimmte Zeit hinaus die idealen meteorolo- 
gischen Bedingungen abwarten. Die täglichen Temperaturwechsel 
bringen das Gas zur Dehnung und zur Kontraktion und ein kleiner 
Teil verliert sich; die Seide und ihre Nähte sind nicht absolut un- 
durchdringlich. Eine gewisse Diffusion bringt Gasverlust und stört 
auch die ßeinheit des Wasserstoffgases. Endlich kann ein Stui'm 
kommen, der trotz allem Angebundensein und allen Sandsäcken 
die gewaltige Kugel arg erfassen und schädigen würde. Man 
kann einige Tage, vielleicht 8, allerhöchstens 14 Tage warten, 
aber nicht unbegi*enzt lange. Es musste also innerhalb dieses 
kurzen Zeitraumes der beste Tag gewählt werden.** »Was wird 
der morgige Tag uns bi-ingen? Hoffen wir!** 

Die Barometer stiegen langsam und kontinuierlich während 
des 2. Oktobers und in der Nacht vom 2. zum 3. Es war nun 
vollständig klar, einerseits, dass die wünschenswerteste Si- 
tuation — SW-Wind in der Höhe — so bald nicht auf- 
treten könne, ja dass vielleicht Wochen verstreichen 
werden, bevor sie wieder komme, anderseits, dass der 
Ballon gefüllt nur noch wenige Tage in gutem Zu- 
stande würde warten können. Mit dem nun vorauszu- 
sehenden Südostwind, also gegen Nordwest zu fahren, bot 
auch ein gi'osses Interesse und war jedenfalls der totalen Unsicher- 
heit der Zukimft vorzuziehen. Die Fahrt auf nächstes Jahr zu 
verschieben, daran konnten wir nicht denken, denn die grossen 
Auslagen für die Einrichtung und Füllung waren unwiderruflich 
geschehen und wären völlig nutzlos geblieben, wenn wir jetzt 
nicht mehr gefahren wären. Viel eher konnte man daran 
denken, ein anderes Jahr den Versuch zu wiederholen. Spelterini, 
Dr. Maurer und ich entschieden zu fahren, falls die Berichte von 



'S ^£ I 

ig 0" B- S 



- 27 ~ 

der Nordseite der Alpen etwas besser lauten würden als gestern. 
Vor 8 Uhr wurde wieder mit Hülfe des vortrefflichen Telegraphen- 
und Telephonbureau die Befragung von Pilatus, Säntis, Luzem, 
Bern eröfifcet. „Lückenhaftes Nebelmeer, Benieralpen hell* be- 
richteten Säntis und Pilatus, »neblig aber wahrscheinlich aufhellend* 
Luzem und Bern. Jetzt war der Entscheid getroffen. Dr. Bieder- 
mann lief in freudiger Ungeduld zum Zeughaus, bald donnerte 
die Kanone und alles rüstete sich in froher Zuversicht. Mit 
diesem Momente war jede Unruhe des Herzens verschwunden und 
es kam kein Zweifel und kein banger Augenblick mehr über uns. 

B. Die Abfahrt. 

Im Einverständnis mit Spelterini übernahm Herr Sourcouf 
die Leitung der letzten Operationen zur Befreiung des Ballons, 
während Spelterini sich mehr um die Ordnung der Gondel be- 
mühte. Der schneidige französische Ingenieur führte seine Auf- 
gabe mit bewunderungswürdiger Präzision aus. Er bat die Zu- 
schauer um Stillschweigen, damit sein Kommando überall genau 
verstanden werde. Fortan herrschte feierliche Stille und Aufmerk- 
samkeit unter der tausendköpfigen Menge. 

Die zwölf Seile, welche den Ballon am Äquator festhielten, 
wurden, auf Leitern stehend, gelöst, die Fahnen am Ballonnetz 
befestigt, der Instrumentenkorb mit Dreieckseil durch Bollen ans 
Netz aufgehängt. Die ca. 400 Sandsäcke ringsum wurden nun mit 
grösster Kegelmässigkeit jeweilen wieder um eine Masche oder um 
eine Seilgabelung tiefer gehängt, wodurch der Ballon gleichmässig 
stieg. Jetzt wurde die fei*tig gerüstete, mit angehängten Sand- 
säcken umgebene, mit Anker, Guideropeseil, Instrumenten, Sauerstoff- 
bomben, Mänteln, Proviant etc. etc. montierte Gondel auf niedrigem 
Wagen unter den Ballon gestossen und der Ring an den Netzseilen 
und an den Korbseilen befestigt (Fig. 2). Bald häuften sich die 
Sandsäcke in den Netzseilgabelungen nahe dem Ring (Fig. 3). Am 
Ring werden vier Seile befestigt und vier Gruppen von Männern in 
einigen Metern Entfernung halten an diesen Seilen fest. Die Sand- 



- 28 — 

Säcke aus den Netzseilgabelungen werden teilweise abgehängt 
Dadurch steigen der Ballon und der Ring bis die Seile von der 
Gondel angezogen sind und nun der Korb den Ballon hält. Jetzt 
ist der Moment für uns gekommen, einzusteigen (Fig. 4). Alles ist 
feierlich bewegt. Porel, Hergesell umarmen mich. Viele unserer 
Freunde und Bekannten drängen sich zum letzten Händedruck 
heran; allen gehts zu Herzen und von Herzen, man sieht ihnen 
die Bewegung an. Viele haben Angst um uns, wir selbst nicht. 
Aber wir sind erfüllt von dem Gefühle des Dankes für alle Hülfe 
und alle Teilnahme. Bei den Zuschauern sieht man in manchen 
Augen Thränen. Der 90jährige Vater Fontaine weint wie ein Kind. 
Wieder so viele Sandsäcke weg als das Gewicht der einge- 
stiegenen Personen beträgt! Noch einige vom Bingrande weg bis 
eben der Ballon die Last trägt und schwebendes Gleichgewicht da 
ist. Die paar noch am Bing hangenden Säcke in die Gondel, die 
Haltseile vom King losgebunden, die Männer von dort an die 
Gondel zum Halten ! Sie schwebt eben! Nun 3 Sandsäcke = 75 kg 
noch bei Seite, um 75 kg Steigkraft zu haben. «Fehlt nichts mehr? 
Habt Ihr alles? Nochmals nachsehen! Stille! — »Attention! — 
Lächez tout!* — (Fig. 5 u. 6.) Und majestätisch ruhig steigt 
die gewaltige goldbraune Kugel mit uns auf zum blauen Himmel. 
Alle Zuschauer im Baum wie auf den umgebenden Plätzen, auf 
Zinnen und Dächern und an allen Fenstern scheinen den Athem 
zurückzuhalten. Viele und auch wii* haben unwillkürlich das Haupt 
entblösst, es ist ein grosser, feierlicher Moment. Wir schauen auf die 
Menge hinab. Dann schwingt Spelterini, auf dem Gondelrand stehend 
seine Mütze zum Grusse ; jetzt bricht die Menge in tausendstimmigen 
Abschiedsruf aus und ein Kanonendonner kracht durch die Luft. 
Unter uns schwinden die Menschen rasch zu Punkten zusammen; 
Sitten wird kleiner und kleiner. Die Fahrt ist angetreten (Fig. 7). 

C. Unser Weg in der Lnft und der Abstieg. 

Zur Kontrole der Höhen durch die Luft dienten zwei regi- 
strierende Aneroidbarometer und ein Quecksilberbarometer (be- 



■eil Sicht man miii Siticn den Rall. 
iiidir villi unten und iiiiniiT kldiiiT 
. N. 1S9K. ii>" ;[■ bis II Uhr. 



— 29 — 

treffend die Instrumente vergl. den letzten Abschnitt). Das Grund- 
rissbild unseres Weges zu prüfen war eine meiner Aufgaben. 
Schon bei früheren Ballonfahrten habe ich erfahren, wie schwierig 
es bei gi'ossen Höhen über dem Boden wird, den Punkt zu be- 
stimmen, senkrecht über welchem man sich befindet. Man schaut 
auf der einen und auf der andern Seite der Qondel hinab und 
fühlt sich gleichzeitig fast ebenso gut senkrecht über dem einen 
wie über dem andern von zwei Orten, die 10 Kilometer ausein- 
ander liegen können. Als einfachstes Beobachtungshülfsmittel hat 
sich mir schliesslich ein weiss gefärbtes Gewicht an langer Schnur 
am Fahrkorbrande befestigt, ergeben, über welches man hinunter- 
blickt, um sodann die fixierten Grundrisspunkte sofort in der Eai-te 
unter Zusatz der Zeitnotiz einzuschreiben. Auch die Bewegung 
des Ballons ist auf diese Weise viel rascher und sicherer als sonst 
zu sehen. Allein die doppelt aufgeschichteten Sandsäcke rings um 
den Korb herum verhinderten zum Teil oder erschwerten doch 
die Anwendung des einfachen Hülfsmittels. Ich erreichte die er- 
hoffte grosse Genauigkeit deshalb nicht überall. 

Vormittags 10 Uhr 53 Minuten erhob sich die Wega von 
der Place d'armes in die freie Luft. Wir stiegen zuerst nach 
der Schätzung der Zurückgebliebenen mit etwa 1 m per Sekunde, 
bald aber rascher. Schon nach der ersten Minute sahen wir uns 
von Thalföhn thalauswärts gegen WSW getragen. Nach 7 Minuten 
hatten wir schon 1840 m Meerhöhe, das ist 1330 m über Sitten 
erreicht, wir waren also durchschnittlich über 3 m per Sekunde 
gestiegen. Leicht und unversehens gieng dies mühelose Steigen vor 
sich; zu Fuss hätten wir schon vier Stunden gebraucht, um diese 
Höhe zu erreichen. Zwei weitere Minuten später, nachdem wir im 
ganzen 3 km thalauswärts gefahren waren, hörte die Horizontal- 
bewegung auf. Wir stiegen von 11 Uhr 2 Min. bis 11 Uhr 5 Min. von 
2000 m auf 2240 m Meerhöhe fast senki'echt auf. Wir standen dabei 
nahe über dem kleinen See bei Pont de la Morge. Es schien sogar 
während einer Viertelsminute, als wendete sich die Fahrt wieder 
thalaufwärts. Indessen diese Hoffnung erfüllte sich nicht, dagegen 



— 30 — 

war nun sicher, dass wir aus dem Strom des Thalwindes heraus- 
gekommen waren. Nördlich von uns sahen wir aber in uns 
gleicher Höhe und noch höher an den Berggräten die Nebel scharf 
gegen Westen ziehen. Wir standen in Windstille, über die Berge 
kroch Nordostwind! 

Zwischen 11 Uhr 5 Min. und 11 Uhr 6 Min. fühlte man 
plötzlich eine Luftbewegung und hörte ein leises Rauschen im Ballon. 
Es dauerte nur einen Moment. Damit waren wir in den grossen 
aus SE wehenden Höhen- Luftstrom geti'eten, den wir dann bis kurz 
vor dem Abstieg nicht mehr verliessen. Jetzt trieben wir gegen 
NW in einer erstaunlich geradlinigen Bahn. 

Bei 2500 m, 3100 m, 3450 m etc. wollte der Ballon wieder 
sinken, und es musste Ballast abgeworfen werden, mehr und rascher 
als erwartet. Später aber hielt sich das Luftschiff so vorzüglich 
aequilibriert, dass wir noch mehrere Säcke überflüssigen Bhonesand 
nach Frankreich auf die Erde brachten. 

So wolkenlos die Luft über dem Thale stand, die Gräte 
waren von vielen Ballwolken umgeben. Als wir das Val de Triqueut 
überquerten und senkrecht über dem Lac de Derborence standen, 
konnte man nur auf Momente zwischen den Wolken durch den 
gewaltigen Trümmerstrom des Bergsturzes an den Diablerets vom 
Jahr 1749 sehen. Der Ballouschatten mit Farbenring stieg an den 
Nebeln hinauf. Wir mussten wieder Ballast auswerfen, um über 
den Nebeln zu bleiben. Einen Augenblick tauchten wir dennoch 
in den Nebel, während unser Träger im Blauen blieb. 

Die Diablerets, denen wir zutrieben, waren mit Neuschnee 
bedeckt. Jetzt sollte sich die von manchen vermutete Wirkung 
einer absteigenden Windströmung dm'ch die Schnee- und Eismassen 
des Berges bald zeigen. Wir erwarteten mit Spannung unser 
Schicksal. Genau 11 Uhr 41 Minuten schwebten wir senkrecht 
über dem höchsten Gipfel des Berges (3217 m) in 4230 m Meer- 
höhe. Wir sahen unter uns die Firn- und Eisfläche des Qlacier 
de Zanfleuron. Unter uns zogen die am Berge klebenden Nebel- 
ballen, anscheinend recht scharf vom Nordostwind in der Richtung 



— 31 — 

des Bergkammes getrieben, wir hingegen fuhren mit Südost recht- 
winklig darüber hinweg. Unsere Bahn zeigte nicht die geringste 
Ablenkung von ihrer geraden Linie. Wohl aber war die Wirkung 
des gewaltigen Gebirgsgrates auf unsere Fahrgeschwindigkeit sehr 
auflfallend. Wie ein Fluss über einer Querschwelle seine Geschwin- 
digkeit vermehrt, so muss das auch mit der Luftströmung der 
Fall sein, die quer zum Grate geht. Unsere horizontale Fahrge- 
schwindigkeit, als wir bei ca. 2300 m über dem Thale zuerst in 
den SE-Strom getreten waren, betrug etwa 3 m in der Sekunde. 
Sie steigerte sich aUmälich auf 10 m über dem Val de Triqueut in 
4200 m Meerhöhe. Drei Kilometer vor dem Diableretkamme erreichen 
wir 23 m Horizontalgeschwindigkeit und über den Grat selbst 
fliegen wir mit über 25 m in der Sekunde, was uns kein Schnellzug 
nachmacht. Wieder drei Kilometer nördlich des Grates über dem 
entsetzlichen Kessel des Creux de Champ gehen wir nur noch mit 
14m per Sekunde und steigen dabei ohne Entlastung aufwärts, 
ganz erinnernd an die Stauwelle, welche auch unterhalb der Fluss- 
schwelle sofort entstehen muss, wo die Bewegung abnimmt und 
dadui'ch der Querschnitt anschwillt. Foi-tan fuhren wir nun in 
gi'osser Höhe und gerader Richtung gegen NW. Während wir 
über dem Thalboden zwischen Unterwind und Oberwind eine etwa 
250 m mächtige stillestehende Luftschicht durchstiegen hatten, muss 
gewiss über den Diablerets die Grenze der beiden verschieden ge- 
richteten Strömungen viel unvermittelter gewesen sein ; wir konnten 
uns glücklich schätzen, hier über derselben geblieben zu sein. 

Dieses erste Stück der Wegafahrt über die vergletscherte 
und zudem frisch verschneite Gebirgsmasse der Diablerets, die 
dem zusammenhängenden nördlicheren Hauptkamme der Alpen an- 
gehört, hat folgendes ergeben: 

1) Während in der Höhe eine allgemeine Luftströmung 
weht und eine anders gerichtete Unterströmung in der Tiefe geht, 
kann diese letztere nach oben in einer den allgemeinen Terrain- 
formen angeschmiegten Gestalt abgegrenzt sein, gewissermassen 
überall dem Terrain entlang kriechend, so dass die allgemeine 



— 32 — 

Oberströmung über dem Thalgrande tiefer hinabgreift, die Unter- 
strömung an den Bergen noch höher oben weht. Das Verwunder- 
liche liegt für mich darin, dass die ünterströmung, in unserem 
Falle NE, sich oben auf dem wilden Grate blos einige hundert 
Meter unter einer Oberströmung von über 25 Sekundenmeter noch 
zu halten vermocht hat. Daraus geht hervor, dass unter Um- 
ständen auch Gipfelstationen über die Höhenwindrichtung täuschen 
können, indem eben verschiedene Windrichtungen über dem Ge- 
birge nicht immer nach Niveauflächen sich abgrenzen. 
Pilotballons sind da das richtigste üntersuchungsmittel der 
Meteorologie. 

2. Sinkende Lokalwinde, durch die Abkühlung der Gletscher- 
massen bedingt, sind während einer allgemeinen Strömung ohne 
Belang für eine Ballonüberfahrt; ünterwinde können schon wenige 
hundert Meter über den Bergen eine stärkere allgemeine Ober- 
strömung gänzlich ungestört lassen. Mir scheint, wir dürfen auf 
Grundlage unserer Beobachtungen mit Bestimmtheit sagen, dass 
jedes Gebirge — so hoch oder so vergletschert es auch sein mag, in 
Zeiten eines allgemeinen Höhenwindes, d. h. also sobald es nicht 
gerade in einem barometrischen Maximum steht, ohne Schwierigkeit 
von einem Ballon in fast gerader Linie überflogen werden kann. 
Immerhin ist, wenn wir dies sagen, noch die eine Bedingung ein- 
zuschliessen, dass keine Wolkenschatten auf den Ballon fallen, der 
Ballon in ungestörter Besonnung fahre; denn jeder Schatten gibt 
Gaskondensation und verbraucht eine Masse Ballast. 

Nach den Diablerets haben wir noch etwa sieben freilich 
niedrigere alpine Bergkämme zu überfliegen, bis wir über das 
schweizerische Molassenland kommen. Die Alpen haben in der 
Querrichtung, in der wir von Sitten ab fahren, gegen NW 55 km 
Breite. Wir sind thatsächlich über ein 55 km breites 
vielgliedriges Alpengebirge mit zahlreichen Kämmen, 
deren höchster vergletscherter 3200 m übersteigt, ge- 
fahren, ohne im Gebirge das geringste Fahrhindernis 
oder die geringste Bahnabweichung zu empfinden. 



— 33 — 

Unsere Bahn ist, so lange wir im Oberstrom waren, erstaun- 
lich geradlinig geblieben. Die Abweichungen von der Geraden, 
nach links oder rechts, betragen auf der im Grundriss 226 km 
langen Fluglinie kaum einen Kilometer. Ob wir zwischen 6000 und 
6800 m Meerhöhe schwebten, oder uns auf 2000 bis 4000 m 
herunter gelassen hatten, es ergab sich gar kein Unterschied in 
der Bewegungsrichtung. Der Neuenburger See unter uns, dann 
das ganze Juragebirge mit Kamm und Thal, die französische 
Hügellandschaft, ihre breiten Thalboden von Flüssen durchschlängelt, 
ihre Felderflächen, dann wieder die enormen Forste, bald klare 
Luft unter uns, bald Nebelmeer, all dieser Wechsel störte die ge- 
rade Bahn nicht. Von dem enormen Einfluss auf den Gang der 
Fahrt, den die unten liegende Bodengestaltung ausüben soll und 
wovon mir noch bei der Sitzung in Strassburg einige der Meteoro- 
logen von Fach gesprochen hatten, war nichts, aber auch gar nichts 
zu spüren. Der Bewegungsfaden blieb, offenbar gi'ossen allgemeinen 
Ursachen folgend, unverrückt. Wir waren geführt von einem 
mächtigen Strome des Luftmeeres, dem gegenüber selbst die Ge- 
birge verschwindende Runzeln im tief unten liegenden Boden sind. 
Es war ein erhebendes Gefühl, den kleinen lokalen Bedingungen 
entrückt in majestätischer Ruhe imd doch grosser Geschwindigkeit 
in unverrückbarer Bahn über die Erde zu schweben. Und war es 
auch nur eine terrestrisch bedingte Bewegung, sie Hess uns doch die 
Erhabenheit einer kosmischen, allem kleinlichen entrückten Bewegung 
im Weltenraum ahnen. 

Die Beilage (Fig. 14) gibt das Grundrissbild unserer Bahn. 

Die Höhenlinie unserer Bahn zeigt drei Kulminationen, von 
denen jeweilen die folgende die bedeutendere war. Wir blieben 
stets lange in den grossen Höhen, das Sinken war nur vorüber- 
gehend. Das erste Maximum erreichten wir von 12 Uhr 05 
bis 12 Uhr 55, in welcher Zeit wir stets über 5000 m 
blieben und 12 Uhr 22 bei 5860, 12 Uhr 30 bei 5850 m 
stunden. Um 1 Uhr 06 waren wir über Tverdon auf 4020 m 
gefallen. 

3 



— 34 — 

Das zweite Maximiira hielt uns über dem nördlichen Teile 
des Jura von 1 Uhr 20 bis 2 ühr 19, also fast während einer 
vollen Stunde zwischen 6000 und 6500 na ; der höchste Punkt 
wurde 1 ühr 52 mit 6430 m erreicht. Jetzt folgte Sinken von 
Besan9on bis über das Thal des Oignon, wo wir 2 Uhr 41 bei 
2260 m standen. 

Einige Säcke Ballast, allmählich ausgeworfen, erzeugten ein 
letztes gleichförmiges Steigen von 2 Uhr 41 bis 3 Uhr 43 auf 
unsere Kulmination von 6800 m. Wir waren 73,2 m per Minute, 
1,22 m per Sekunde höher gekommen. Diese Höhe hielten wir 
nur einen Moment inne. Der Ballon wollte noch mehr steigen, 
diu'ch wiederholtes Ziehen der Ventilklappe wendete sich das Steigen 
in rasches Fallen zum Abstieg. Der Kapitän schätzt, dass er über 
100 m^ Wasserstoffgas ausgelassen habe. Zu diesem Beschlüsse des 
Abstieges hatten folgende Erwägungen geführt. Unser Ballon hätte 
sehr wohl noch die ganze Nacht uns in der Luft halten können. 
Ballast war noch reichlich vorhanden. „Wollen wir die Nacht durch 
weiter fahren?'' fragte der Kapitän. Ein Blick auf meine Landkarten 
zeigte, dass wir in der Richtung über Paris treiben würden, falls 
keine Änderung in der Windrichtung erfolgte. Allein unsere Fahr- 
geschwindigkeit war im Mittel so gross, dass wir schon vor Mitter- 
nacht Paris zu passieren erwarten mussten. Schon vor Tagesan- 
bruch hätten wir das Meer erreicht. Unsere Karten reichten 
nicht bis dort hinaus. Nach der Erinnerung des Kartenhildes 
schien es mir aber, dass wir in zu schiefer Richtung das Armel- 
meer überqueren und bei einer geringen Abweichung der Wind- 
richtung gegen Westen riskieren müssten, westlich von England 
in den Ozean hinaus zu fahren. Der Abstieg in der Nacht konnte 
schwierig werden und der wissenschaftliche Erfolg der Nachtreise 
stand nicht im Verhältnis zur Gefahr einer so unsicheren Landung. 
Vor uns aber schloss das Nebelmeer sich gegen Nordwest immer 
dichter. Wenn wir vor Nacht absteigen wollten, musste es nun 
sofort geschehen, um nicht zu sehr im Nebel herum zu fahren. Aber 
vielleicht nur für einen Augenblick noch etwas höher mit künst- 



- 35 — 

lieber SauerstoflFatraung? Vielleicht finden wir dort umgekehrte 
Strömung, die uns in die Schweiz zurückfuhrt? Die Situation war 
kritisch geworden. Im folgenden Abschnitte wird näheres über 
die Umstände berichtet, imter denen jetzt der Abstieg beschlossen 
wurde. Fig. 15 und 16 geben das Vertikalprofil unserer Fahrt. 

VoD 3 Uhr 43 bis 4 Uhr 23 fielen wir von 6800 auf 
2400 m hinab. Das ist eine Fallgeschwindigkeit von 110 m per 
Minute, gewiss zeitweise mehr als 2 m in der Sekunde. Unter 
uns war Nebelmeer. „Es geht zu schnell, Sandsack ab ! — noch 
einen!* Die Sonne hatte sich hinter Wolkenstreifen gehüllt. Da 
rieselt ein Sandregen über uns herunter, alles wird voll Sand, wir 
waren schneller gefallen, als der ausgeworfene Sand und erst etwas 
später durch die Entlastung wieder langsamer, so dass der im 
Fallen zurückgebliebene Sand uns nun wieder überholte. Jetzt 
gerathen wir bei ca. 1600 m in den Nebel hinein. Alles wird 
düster und grau um uns. Wir spähen nach unten. Zuerst sieht 
Spelterini wieder die weissen Strassen, dann auch die Dörfer durch- 
schimmern. Gut! der Nebel geht nicht bis auf den Boden, man 
sieht genügend zur Landung, aber es ist starker östlicher Unterwind! 
Wir fahren über die roten Dächer eines Dorfes, es war Kiviöre. 
„Einhalb Sack Sand aus, sonst gerathen wir in die Hopfenstangen!'' 
Östlich steigt der Boden rasch an. Weit herum nehmen baumlose, 
steinige Äcker und Wiesen mit wenig Gebüsch die Plateaufläche 
ein, dahinter folgt ausgedehnter Wald, den wir nicht mehr über- 
fahren können, hier müssen wir absteigen. 

Dr. Maurer hatte die Instrumente geborgen, Dr. Biedermann 
stand bereit, den Anker auf des Kapitäns Befehl zu werfen. Das 
Schleppseil war leider feucht geworden und dann gefroren, so dass 
es nicht weich abgerollt werden konnte und unverwendet bleiben 
musste. Mir hatte der Kapitän die normale Ventilleine in die eine 
Hand gegeben, in der andern hielt ich Ballast zum Auswurf bereit, 
er selbst hielt die Beissventilleine und einen Ballastsack und spähte 
mit Adlerblicken. „Halbsack ab!** — „Es gibt einen Stoss — 
aber einen festen!** ruft er, „Anker los!** Mit gi*osser Horizontal- 



— 36 — 

geschwiDdigkeit fuhr der Korb flach schief auf den Boden, dass 
alles krachte und klirrte. Die Ventilleine aus Leibeskräfken ziehend 
fiel ich rücklings in den Korb, blieb so und liess nicht gehen. 
Da springt der Ballon doch wieder auf, wir fliegen wieder, 
1 bis 2 m über dem Boden, 50 m weit dahin und schlagen 
wieder auf. Der Anker hatte in dem harten Grund noch nicht 
gepackt, er wird wieder abgerissen und mit einem Bück gehts zum 
zweiten Sprung gegen 100 m, halb geschleift halb geworfen, 
weiter. Die Ventilleine reisst mir aus der Hand, aber der Anker 
hat gepackt, die Beissleine zerrt den Kapitän, der sie nicht gehen 
lassen will, aus dem Fahrkorb heraus, das Ankerseil ist straff ge- 
spannt, wir bleiben auf dem Boden fest, die Ventile haben gewirkt. 
Kaum 20 Sekunden nach dem ersten Anprall liegt der Ballon am 
Boden, wie ein schnaubendes Ungetüm im scharfen Nordostwinde 
sich krümmend und durch diesen gestossen sein W^asserstoffgas um 
so schneller auspressend, nicht mehr föhig, sich zu erheben. Wir 
können aussteigen. Alle sind völlig unverletzt, der Instrumenten- 
korb ist schief, ein Thermometer und einige photographische Platten 
sind zerbrochen, aber sonst ist nichts wertvolleres beschädigt; selbst 
das feine Quecksilberbarometer, die Aneroide etc. haben nicht im 
geringsten gelitten. Die schwierige Landung ist glücklich vollzogen. 
Wir mögen unter dem Nebelmeer noch ca. 3 km weit gegen 
Westsüdwest gefahren und dann noch ca. 150 bis 200 m ge- 
schleift worden sein. Es war 4 Uhr 37 Minuten. 



Meine Zeiteintragungen in die Projektionspunkte der Bahn 
auf der Karte ermöglichen eine ziemlich genaue Kontrolle der 
Fahrgeschwindigkeit der Wega, welche ja vollständig gleich 
der Windgeschwindigkeit ist. 

Unsere Fahrgeschwindigkeit im Oberstrom ging nie wesentlich 
unter 8 ra per Sekunde hinab, stieg aber auch, nachdem wir 
den Haupt\amm überfahren hatten, niemals wieder auf 25 m 
sondern nur noch bis 16 m per Sekunde. Es lässt sich in den 
Schwankungen der Horizontalgeschwindigkeit keine Gesetzmässigkeit 



— 37 - 

erkennen. Im Ganzen hat der Ballon einen horizontalgemessenen 
Weg von 229 km in 344 Minuten, das ist 5 Stunden 44 Minuten 
zurückgelegt. Davon fallen in den allgemeinen Oberstrom 210 km 
in 285 Minuten zurückgelegt. Dies ist eine Geschwindigkeit von 
737 m per Minute oder 12,3 m per Sekunde. Wir fuhren also 
geradlinig, ohne Aufenthalt an Stationen, mit der Geschwindig- 
keit eines Schnellzuges. 

Und doch ist diese Geschwindigkeit im Ballon nicht zu 
fühlen. Man schwebt scheinbar stille stehend in der wunderbarsten 
Ruhe. Kein leises Wehen, kein Eauschen ist hier zu vernehmen, 
auch bei der Fahrt im Sturme nicht. Nicht die leiseste Er- 
schütterung durchzuckt unser majestätisches Fahrzeug. Lange 
muss man nach unten Berge, Dörfer, Strassen, Flüsse fixieren, bis 
man eine Verschiebung derselben gewahr wird, und erst die Re- 
flexion lehrt uns, dass wir damit die Bewegung des Ballons, nicht 
des Bodens beobachten. Und wenn man nicht den Untergi-und 
beständig in den Augen festhält, wenn man seine Blicke nur im 
Fahrzeug oder auf den Horizont schweifen lässt, so kann man 
nicht ahnen, ob man stille steht oder über der Erde dahinsaust 
wie der Aar, und man kann nicht empfinden, in welcher Richtung 
die Reise geht — so wenig als wir auf der Erdoberfläche die 
Drehung der Erde oder ihre Bahn um die Sonne direkt zu em- 
pfinden vermögen. Es gibt keine schönere, keine feierlichere Art, 
sich auf der Erde zu bewegen. 

Über den Waadtländeralpen stets in einer Höhe von zwischen 
5000 und 6000 m wechselte die Geschwindigkeit zwischen 8 und 
17 m per Sekunde. Über Yverdon hingegen blieb sie bei blos 
4200 m, ganz gleich wie über dem Jura bei über 6000 m Höhe, 
stets nahe um 15 m per Sekunde. Nachmittags um etwa 7*3 Uhr 
hatte die Windgeschwindigkeit auf 8 bis 12 m abgenommen, 
gleichgültig ob wir über 6000 oder unter 3000 m schwebten. 
Es geht hieraus . deutlich hervor, dass die Windgeschwindigkeit, 
innerhalb des Oberstromes, in der Hauptsache nicht von der Höhe 
abhing und mit der Höhe wechselte, sondern mit der Zeit. Im 



— 38 — 

Verlaufe der Zeit kamen für den ganzen grossen Windstrom aus 
SE verschiedene Geschwindigkeiten zu Stande. Wenn aber die 
Windgeschwindigkeiten mit der Zeit sich änderten, so ist es am 
so auffallender, dass dabei die Windrichtung doch so völlig 
unverändert geblieben ist. 

Oben hatten wir dui'chschnittlich 12,3 m Windgeschwindigkeit 
in der Sekunde, während unten fast Windstille oder wechselnde 
Windrichtung herrschte! Das zeigt uns wieder, wie viel wind- 
reicher die oberen Schichten der Atmosphäre sind. Ich glaube 
fast, man könnte auch bei barometrischem Maximum im BaUon 
die nötige Fahrgeschwindigkeit finden, um über das Gebirge zu 
kommen. 

Die Vertikalbahn des Ballons ist freilich keine meteorologische 
Erscheinung, sondern eine aeronautische. Sie ist aber in letzterer 
Beziehung der Beachtung wert. Wenn wir die sämtlichen steigenden 
Bewegungsstucke der Bahn im Betrage ihrer Vertikalsteigung zu- 
sammenzählen, so kommen wir auf ca. 15,500 m und ebenso 
viel beti*agen selbstverständlich die summierten absteigenden Be- 
wegungen. Ein guter Bergsteiger würde, die Ruhepausen nicht 
mitgerechnet, das nämliche in etwa 80 Zeitstunden, die Buhe- 
zeiten mitgerechnet in etwa 8 Tagen zu leisten vermögen, unser 
Ballon ist ein vortrefflicher Kletterer, der in nicht ganz 6 
Stunden so hoch hinauf und hinab zu steigen und zudem in der 
Höhe gleichzeitig noch 229 km weit zu gehen vermochte und das 
alles in nach gewöhnlichem Sprachgebrauch für den Erdboden 
ziemlich windstiller Zeit. Der Ballon hatte bei diesem enormen 
Wege nicht nur das Gewicht eines Bergsteigers, sondern eine Last 
von 1500 bis 3000 kg zu tragen. Er ist der beste Bergsteiger, 
den es gibt! 

Die Dimensionen unseres Weges durch die Luft können in 
folgenden Zahlen zusammengefasst werden: 
Summe aller aufsteigenden Bewegungen. . . = 15500 m 
„ „ absteigenden „ ... = 15500 „ 

Vertikalbewegungen überhaupt 31000 m 



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Grundriss der Bahn auf der Horizontalen . . 229 km 

Länge der Bahn in sich selbst gemessen . . 235 „ 

Grösste erreichte Höhe 6800 m 

y, « Horizontalgeschwindigkeit . 25 „ per Sek. 

Unsere Ballonfahrt ist weder die höchste noch die weiteste, die 
bisher ausgeführt worden ist. Aber sie ist die erste, die ein bedeu- 
tendes Gebirge überquert hat und sie ist auch die erste, deren 
Bahn nicht nur auf wenige Momente, sondern sehr lange und sehr 
weit sich in Höhen über 5000 und 6000 m gehalten hat. Sie war 
«Hochfahrt**, „Weitfahrt*, „ Schnellfahrt •* und „Dauerfahrt* zugleich. 

Zum Schlüsse unserer Darstellung der Bahn geben wir hier- 
nach eine Tabelle, welche Ort, Zeit und Höhe angibt. 

Zeit Ort genau oder nahezu senkrecht Ballonhöhe 

Std. Min. unter dem Ballon. i. Meter ü. M. 

1. Fahrt über die Alpen. 

10 63 Sitten (Abfahrtsplatz) 512 

11 12 Montdorge 3000 

11 25 Erdes 3500 

11 35 Val de Triqueut 4200 

11 39 Lac de Derborence 4300 

11 41 Diablerets 4350 

11 48 Ormont-dessus 4700 

11 55 le Mont 5000 

11 59 le Pet Hongrin 5300 

12 05 Dent de Jaman 5100 

12 09 Cap de Meine 5500 

12 19 Remaufens bei Chätel St Denis 5800 

2. Fahrt über das schweizerische Mittelland. 

12 28 Chapelle bei Oron-la-Ville 5900 

12 48 Moudon 5800 

12 56 Bercher 5000 

1 02 Essertines 3800 

1 07 Tverdon 4200 



— 40 — 

Zeit Ort genau oder nahezu senkrecht Ballonhöhe 

std. Mio. unter dem Ballon i. Meter ü. M. 

3. Fahrt über den Jura. 

1 13 Vuiteboeuf 4500 

1 17 Ste. Croix 5000 

1 18 Chasseron 5200 

1 23 Cöte aux F6es 6400 

1 27 les Verriöres 6400 

1 32 Grenze Schweiz : Frankreich 6300 

1 41 Bugny 6100 

1 50 Mouthier 6350 

2 00 Omans 6250 

2 08 Foucherans 6400 

2 22 Besanfon 5300 

2 27 Ecole 4500 

4. Fahrt über Frankreich nördlich des Jura. 

2 40 Oignonfluss 2300 

2 58 AutoreiUe 3200 

3 08 Choye 4000 

3 29 Battrans 5600 

3 37 Gray sur Saone 6500 

3 44 3 kuGi nördlich Gray 6800 

3 50 Bouhans 6000 

4 Ol St. Seine 5300 

4 12 Chaume 3700 

4 24 Couzon 1600 

4 35 Kiviöre 800 

4 37 Landung ob Kiviere 500 

D. Unser Befinden. 

Die Fahrt der Wega über einen Teil der Alpen war die 
503. Ballonfahrt, die unser Kapitän mit Passagieren ausgeführt 
hat. Herr Dr. Maurer war vorher erst einmal, Dr. Biedermann 
noch nie im Ballon gestiegen, für mich wai' es die vierte Luftreise. 



— 41 — 

Id den tieferen Regionen bis zu 4000 oder 5000 m waren 
auch diesmal bei meinen 6efö,hrten und bei mir die persönlichen 
Empfindungen durchaus ähnlich, wie ich sie bei meinen früheren 
Fahrten erlebt habe und wie sie von andern beschrieben werden. 

In einer unendlichen Pracht umgibt uns die Welt, und im 1 
Vordergrund aller Gefühle steht die staunende Bewunderung. Nie- 
mand kann Worte finden, dieses selige Geniessen im Schauen zu 
schildern. Man ahnt auf dem Boden unten nicht, wie schön dies 
Gewebe von Wald und Wiese, von Feld und Wasser, Berg und 
Thal, Fels und Schnee ist, wie duftend, wie freundlich und lieblich 
Dörfer und Städte aussehen, als wäre in ihnen eine Sünde unmög- 
lich, und wie freundschaftlich und traulich die Strassen und Wege 
die Wohnstätten der Menschen miteinander verbinden. Es ist wie 
eine herrliche Dichtung, was unter uuserm Auge vorüberzieht. Ja, 
ich erkenne die Dörfer, die Thäler, die Berge, sie sind mir ja alle 
vei*traut, aber sie sind doch anders, sie sind wie verklärt, so rein, 
so farbenduftig. Ist alle diese Pracht wirklich Wahrheit? Ich 
taste am Fahrkorb, an den Seilen, ich taste an den Gefährten, um 
zu versuchen, ob ich vielleicht blos in einem schönen Traume 
schlafe, oder ob greifbare Wirklichkeit mich umgebe. Im Schauen 
gebannt ist es schwer, anderes über die Lippen zu bringen, als 
nur beständige Ausrufe der Bewunderung und des Entzückens. Ich 
habe es gesehen, wie manche in eine Art Glücksrausch, in ein 
Gefühl unaussprechlicher Seligkeit verfallen. Manche lachen, andere 
weinen, wieder andere werden stumm. Es ist schwer, den Geist 
zm- wissenschaftlichen Beobachtung zu sammeln. Man darf fast 
sagen: vor Staunen und Entzücken steht der Verstand einem still. 
Die paar Stunden sind verronnen wie ebenso viele Minuten. Wir 
haben auf manches Einzelne genau geachtet, aber in einer Art 
Sinnesbetäubung durch die Pi-acht habe ich trotz Vorsatz noch viel 
mehr zu beobachten übersehen. Das Entzücken lähmt. Ich glaube, 
der Dichter ist einmal im Ballon gefahren, der den Adler hoch in 
den Lüften sagen lässt: „Ach währte doch immer das stolze Glück, 
ach müsst' ich doch nimmer zur Erde zurück!** 



— 42 — 

Frau Tible aus Lyon, welche im Jahr 1784 als die erste 
Dame mit einem Ballon aufstieg, hat eine Beschreibung ihrer sub- 
jektiven Empfindungen gegeben, welche diese Stimmung des Glückes 
ganz in der Art wiedergibt, wie sie für alle verständlich ist, die 
es schon erlebt haben. 

Schon gleich im ersten Moment, da der Ballon schwebt und 
zu steigen beginnt, fühlt man sich ausserordentlich wohl. Niemals, 
auch bei raschem Aufstieg, habe ich oder haben Gefährten von 
mir irgend ein Unbehagen empfunden. Freilich sie alle waren von 
gesundem Herz und gesunder Lunge. Wie es Herzkranken ginge, 
ist eine andere Frage. 

Auch diesmal zeigte sich bei uns keine Anwandlung vom 
Gefühl des Höhenschwindels, obschon wenigstens ich dieses 
Gefühl vom Gebirge und von hohen Bauwerken her sehr wohl 
kenne. Warum der Gleiche, welcher auf der Zinne eines hohen 
Turmes sich ängstlich festhalten muss, sich kaum zu wenden 
wagen darf, oder plötzlich alles in schwankender und drehender 
Bewegung sieht, vom Ballon mit behaglicher Ruhe auf die Spitze 
des Turmes oder des Felsgipfels heruntersieht, hinauslehnt, auf 
den Korbrand steht etc., — ob in 100 oder in 5000 m über dem 
Boden ist dabei ganz gleichgültig — diese Thatsache ist mir auch 
heute fast so unerklärlich wie vor Jahren, da ich sie zuerst selbst 
beachtete und durch Nachfrage bei allen Ballonfahrern bestätigt 
fand. Wenn man über die ersten Ballonfahrten zu Ende des vorigen 
Jahrhunderts nachliest, bemerkt man ebenso, dass Jeder beim Auf- 
steigen Behagen, niemand Höhenschwindel fühlte, niemand von 
Grausen spricht. Bei einem Aufstieg im verflossenen Sommer ge- 
riethen wir infolge eines unerwarteten Windstosses mit der Gondel 
in starke pendelnde Schwankungen. Der Ballon schaukelte in ent- 
gegengesetztem Sinne, ein Punkt kurz über dem Ring schien der 
Drehpunkt der Schwingung zu sein. Ziemlich lange Zeit hielten die 
Schwankungen an. Allein auch dies war nicht unangenehm. Auch 
das Missbehagen, wie es in einer Schaukel oder auf einem Meer- 
schi£f von vielen gefühlt wird, erschien bei keinem der Mitfahrenden. 



— 43 - 

Als hingegen einmal bei der Fahrt am 25. Juni 1897 der Kapitän 
durch rasches Hantieren mit Seilen und Sandsäcken dem Ballonkorb 
einige harte Stösse versetzte, und ihn in raschem Wechsel dabei 
auf verschiedenen Stellen ungleich belastete, war mir plötzlich ein 
Anflug von Höhenschwindel für einen Moment fühlbar. Ich glaubte 
deshalb, dass die absolute Buhe, der Mangel jedes Zitterns, jeder 
Kollision mit Hartem, wie sie sonst beim Steigen auf einen Turm 
oder einen Berg schon durch das Treten und Stehen bedingt 
wird, wesentlich dazu beiträgt, den Höhenschwindel ferne zu halten. 
Indessen auch dies reicht zur Erklärung durchaus nicht aus, denn 
wer Höhenschwindel hat, spürt ihn auf einem Berge auch bei 
unbeweglich ruhigem Sitzen oder Liegen, und ebenso auf einem 
Turme selbst hinter schützender Brüstung. Leicht hört man die 
eine oder andere Vermutung, aber bei näherer Prüfung halten 
sie alle nicht stand. Das Ausbleiben des Höhenschwindels 
im Ballon ist eine noch durchaus unerklärte sehr auf- 
fällige Thatsache, die wir auch bei der Wegafahrt wieder 
vollauf bestätigt fanden. 

Höhenschwindel würde jeden Genuss, jedes Behagen zerstören 
und die Ballonfahrt zur grössten Pein machen. Das Fehlen des 
Höhenschwindels ist die Grundlage für das „stolze Glück % das 
alle Ballonfahrer empfinden. 

Am wunderbarsten empfindet man im Ballon die vollständige 
Ruhe und dazu die feierliche Stille in der Höhe. Beide wirken 
geradezu erhebend. Ob der Ballon rasch steige oder falle, ob er 
mit mehr als Schnellzugseile dahin fahre, das alles kann man gar 
nicht empfinden. Man fühlt sich selbst in der absolutesten Ruhe. 
Erst wenn man Punkte auf der Erde unten fixiert, dann sieht 
man dieselben sich verschieben, um so langsamer in je grösserer 
Höhe man fährt; oder der Erdboden scheint langsam tiefer zu 
fallen oder gegen uns heraufzusteigen, die Bäume scheinen grösser 
zu werden. Erst dmch Überlegung erkennt man daraus, dass man 
selbst fährt, steigt oder sinkt. Nur ganz selten, etwa bei plötz- 
lichem Windwechsel oder Übergang von einer Windschicht in eine 



-^ 



X, 



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— 44 — 

andere, fühlt man einen Moment ein Wehen. Sonst bemerkt man 
selbstverständlich nicht den leisesten Luftzug, da man ja gleich 
schnell wie der Wind mit ihm geht. Das Luftschiff pustet nicht 
und rasselt nicht, es schwebt stumm dahin, sanft, still, ohne Zittern, 
(' ^ ohne Schwanken. Bei 2000 m über dem Boden vernimmt man 

noch den Lokomotivenpfiff oder das Rasseln des Bahnzuges über 
eine Brücke. Bei 5000 m wirds fast vollständig still. Man be- 
merkt zuerst mit Erstaunen, wie es überhaupt ist, wenn gar kein 
Geräusch ans Ohr schlägt, ein Zustand, den wir unten auf der 
Erde kaum jemals erleben. Denn wenn es in der Tiefe stille ist, 
so hören wir doch noch das Rauschen unseres Blutes im Ohre, — 
hier oben über 6000 m ist die Cirkulation auch unhörbai' ge- 
worden. Bei 5000 m und 5500 m hörte ich das Ticken der 
Taschenuhren meiner Gefährten und der meinigen. Bei 6000 m 
konnte ich auch dies nicht mehr wahrnehmen. Ob die schlechtere 
Schallübertragung durch die verdünnte Luft oder Reduktion meiner 
Sensibilität der Grund wai', kann ich nicht sagen. Die vollständige 
Ruhe und die Stille im Ohr wirken zusammen. Lange hatte keiner 
von uns ein Wort gesagt, als der hohle Ton völlig erschreckend über- 
raschte, mit welchem Spelterini unterbrach: »Merkt Ihr, wie 
totenstill es hier oben ist." Dr. Maurer findet diese Stille, 
die auch ihm jetzt erst plötzlich zum Bewusstsein gekommen war, 
unheimlich und geisterhaft, die „eisig-stille, ewige Ruhe der höchsten 
Schichten des Luftmeeres, zu denen kaum noch ein Laut der Erde 
hinaufdringt**. Mir machte diese Stille vielmehr einen beglückenden, 
erhebenden Eindruck. Meine etwas empfindlichen Ohrennerven sind 
selig, endlich einmal dem Gewirre der Geräusche und des Lärmes 
und zugleich der Pflicht enthoben zu sein, die Töne zu sortieren 
und zu deuten. Ich möchte oft in solche Stille mich flüchten! 
um 12 Uhr 40 Minuten, als wir bei 6000 m ungefähr über Moudon 
standen, vernahm man ein dumpfes, verschwommenes Geräusch — 
das muss ein Kanonenschuss gewesen sein! 

Ich bin überrascht von dem Gegensatz dieser Erscheinungen 
zu denjenigen, die ich bisher im Gebirge beobachtet habe. Auf 



- 45 — 

Berggipfeln hört man sehr gut die Töne aus der Tiefe, während 
der Schall nach unten sich schwer fortpflanzt, wobei eben dichtere 
Luft durch dünnere in Schwingung versetzt werden muss. Auch 
auf den höchsten Gipfeln vernahm ich stets noch das Bauschen 
der Bäche und Flüsse oder das Bauschen des Windes an den 
Felsecken. Zum Ballon, freilich höher als ich jemals auf Bergen 
war, vermochte kein Geräusch mehr zu dringen. Vielleicht pflanzt 
sich der Schall kräftiger dem Boden entlang fort, als durch die 
ganz freie Luft. In der weit unter die Hälfte verdünnten Luft 
muss die Distanz, bis in welche ein Schall reicht, kürzer und 
zugleich die Intensität stets geringer sein. 

Jeder von uns im Ballon hatte seine Aufgabe und war für 
sich beschäftigt. Bis über 4000 m war uns Allen herrlich wohl. 
Als wir gegen 4600 m gekommen waren, bemerkte Di*. Biedermann, 
dass er etwas Herzklopfen habe. Nachher hörte es wieder auf. 
Dann aber, bei 6000 m, klagte Dr. Maurer über heftigen stechenden 
Kopfschmerz im Hinterhaupt und Übelkeit, und es stellte sich bei 
ihm die richtige Bergkrankheit ein, die er offenbar durch einen 
Schluck Cognac und Champagner, die ihm der Kapitän reichte, 
noch verschlimmerte. Glücklich wir Abstinenten, die wir solchen 
Missgriffen nicht ausgesetzt sind! Dr. Maurer nahm sich aber 
enorm zusammen und beobachtete und notierte trotz fortwährendem 
Unwohlsein stets weiter, alle Energie auf seine Aufgabe kon- 
zentrierend, die er auch vorzüglich gelöst hat. Beim Aufstieg bis 
6500 m befand ich mich noch * sehr wohl und arbeitstüchtig. 
Ich habe auch in den Bergen, so hoch, als ich bisher gestiegen 
bin (4600 m), niemals Erscheinungen von Bergkrankheit empfunden, 
obschon dort ja infolge der Körperanstrengung die Verhältnisse 
ungünstiger sind und die Erschöpfung viel näher liegt, als im 
Ballon. 

„Jetzt fangt es an kalt zu werden,** bemerkt Dr. Bieder- 
mann. „Mir scheint, es dürfte nicht mehr viel über + 5® sein," 
sagte ich. „Es ist — 8^!" meldet Dr. Maurer, der vor dem 
Thermometer steht. Stille, trockene Kälte wird wenig empfunden, 



— 46 — 

um so weniger, als wir zugleich der ungeschwächtesten Sonnen- 
strahlung ohne Unterbruch ausgesetzt waren und zudem ja in 
vollkommener Windstille — durch unsere Bewegung mit dem 
Winde — standen. Bald wurde es — 15^ und noch kälter. Ich war 
leicht gekleidet, aber ich Hess den Mantel und Forel's Jagdgilet, 
die neben mir lagen, unbenutzt, ich hatte warm. Bei — 17® fingen 
die Finger an sehr kalt zu werden. Ich zog die Handschuhe an. 
Die Ohren schmerzen uns alle vor Kälte, ich binde ein Taschentuch 
um. Mein Bart ist dick voll Eis. Aber am Körper empfinden 
wir die Kälte kaum, und im besonderen bleiben uns die Fusse 
gegen Erwarten warm, so dass wir die Filzstiefel nicht einmal an- 
ziehen. Der Teppich im Gondelboden schützte gut. 

Bei 6000 ra bis 6800 m fühlte ich mich, sitzend in einer 
Ecke der Gondel auf einigen Ballastsäcken, unaussprechlich 
behaglich und wohl. Halb träumend schaute ich hinaus über 
die glänzenden Wolken, an den gelblichen Horizont oder zum 
schwarzblauen Himmel. Ich hatte kein Bedürfnis nach künstlicher 
Sauerstoffatmung, keine Atemnot, kein Unbehagen, keinen „Luft- 
hunger*. Aber die Fähigkeit zur Arbeit war gering, die Energie 
verschwunden. Nur das Notizbuch zu heben und zu schreiben 
war eine starke Anstrengung. Mit einem photographischen Apparat 
zu hantieren, erzeugte sofort beschleunigten Atem, ein völliges 
Luftschnappen. In Ruhestellung war meine Atmung nicht be- 
schleunigt. Mein Puls war sehr schwach, ich konnte ihn kaum 
mehr finden, aber er schlug ruhig wie immer 60 bis 63 Schläge 
per Minute. Allmählich empfand ich die andaueiiide Kälte von 
— 20®, ich fror in meinem Sommeranzug. Die Beine zitterten, 
mein Gesicht habe seine natürliche Färbung verloren, ich sei 
wachsgelb, der Kapitän dunkelbraun geworden, sagte Dr. Maurer. 
Es war aber so schön, ruhig sitzen zu bleiben! Lieber erfrieren, 
als die Mühsal auf sich nehmen, den neben mir liegenden Mantel 
aufzuheben und umzuschlagen! Es blieb mir mein Gewissen in 
Thätigkeit, welches mir stets sagte: Du sollst beobachten, sollst 
aufpassen, sollst notieren, und ich schaute gehorchend über den 



— 47 — 

Korbrand hinaus in die weite Welt, aber ich sah nichts besonderes, 
ich beachtete nicht, was ich hätte beachten sollen, ich notierte 
nichts mehr, ich fand die Programmpunkte in meinem Geiste nicht 
mehr zusammen, ich war geistig wie gelähmt und stumpfsinnig 
geworden, aber es war mir so wohl dabei. Nur ruhig unbeweglich 
sitzen und den Ballon steigen lassen, hinauf fahren in himmlische 
Höhen, das müsste ein seliges schönes Ende sein. 

Der Kapitän hantierte mit den Sandsäcken und den Fhoto- 
graphieapparaten tapfer weiter. Er wusste die Erschlaffung am 
meisten zu beherrschen, er blieb am leistungsföhigsten, aber auch 
er bekam eine matte Stimme, eine dunkle GesichtsiUrbung von 
blauem Blut und keuchte und schnappte Luft, sobald er sich 
anstrengte. Ebenso Dr. Biedermann. Von der Kälte bekam 
letzterer etwas Naaenfluss. Als er sich schneuzen wollte, war es 
ihm, wie wenn der ganze Kopf explodieren wollte, sofort rausste 
er den Versuch einstellen und durfte fürderhin nur sachte ab- 
wischen, so lange wii* in der Höhe blieben. Ganz übereinstimmend 
atmeten wir drei ruhig, sobald wir stille blieben, aber jede Be- 
wegung, jedes Heben eines Armes oder Beines erzeugte sofort das 
Luftschnappen, das aber ebenso schnell wieder aufhörte. 

Dr. Maurer beschreibt selbst seinen Zustand wie folgt: 
„12 Uhr 40 Min., nahe 6000 m! Wir stehen überMoudon, das 
Thennometer zeigt auf — 17^ C. und das Quecksilber-Barometer 
markiert kaum noch 370 mm Luftdruck. (Die Luft ist auf weniger 
als die Hälfte dessen verdünnt, auf das unser Körper eingerichtet und 
angepasst ist.) In dieser enormen Höhe treiben wir eine volle 
Stunde lang dahin. Ich fühle, dass ich zusehends schwächer werde; 
zeitweise befällt mich starke Schlafsucht, aus der ich mich energisch 
aufraffen muss. Leichtes Herzklopfen stellt sich ein, ich fühle 
einen stechenden Kopfschmerz." Dr. Maurer erinnert sich hier an 
Sivel und Crocd-Spinelli, die in solchen Höhen aus Sauerstoffmangel 
infolge Luftverdünnung im Ballon starben. Er fährt dann fort: 
„Ich setze einen Gummischlauch an das Ventil der einen Sauer- 
stoffstahlflasche und sauge das belebende Gas in langen gierigen 



— 48 — 

Zügen in die Lungen. Der lästige Kopfschmerz, das zeitweise 
leichte Herzklopfen nehmen sofort ab mid ich fühle unmittelbar 
die erfrischende belebende Wirkung des Gases auf den geschwächten 
Körper." Später, nach dem letzten Aufstieg, am Kulminationspunkte 
unserer Bahn bei 6800 m über Gray ruft Dr. Maurer: «Ich 
kann nicht mehr ablesen, ich sehe kaum mehr." Dr. Biedermann 
machte die Ablesung am einen, ich am andern Instnimente, ich 
sah noch ganz gut und scharf, war aber schlaff und gleichgültig 
geworden. 

Jeweilen, wenn der Ballon nur 200 bis 500 m wieder fiel, 
waren wir sofort wieder neu belebt, die Wirkung der Luftver- 
dünnung hielt nur so lange an, als wir in dieser Verdünnung uns 
befanden. 

Wenn wir wieder auf 4000 m heruntersanken, und das 
Thermometer wieder auf — 5® gestiegen war, fohlt-e ich mich sehr 
warm, so dass ich durch Aufknöpfen der Weste mir Kühlung 
schaffen musste. 

Wir haben aus ungenügender Erfahrung in den Vorbereitungen 
für den Aufenthalt in einer Höhe von über 6000 m entschieden 
einige Fehler begangen, die sich uns, zu spät, deutlich zeigten. 
Freilich wir hatten nicht die Absicht, über 5000 m zu steigen. 
Man sollte alle schützenden Einrichtungen fix und fertig treffen, 
bevor man deren Notwendigkeit empfindet, denn wenn 
man schon so hoch ist, dass das Bedürfnis sich einstellt, ist unter- 
dessen die Schlaffheit erschienen, welche jede Manipulation in Frage 
stellt oder gar durch eine Ohnmacht von einer Sekunde zur andern 
unmöglich machen kann (Tissandier, Sivel, Croc^-SpineDi, Glaisher, 
Coxwell etc.). Als wir merkten, dass es jetzt für uns alle am 
Platze wäre, künstliche Sauerstoffatmung in Gang zu setzen, steckte 
der Schlüssel noch nicht an der zu diesem Zwecke mitgenommenen 
Bombe mit komprimiertem Sauerstoff und das Beduktionsventil zum 
langsamen Auslassen des komprimierten Gases lag daneben, statt 
schon mit samt den Kautschuckschläuchen angeschraubt zu sein. 
Alles sollte schon früher fix und fertig bereit sein und man muss 



- 49 — 

die warm haltenden Überkleider anziehen, bevor man zu frieren 
beginnt ! 

Indessen wir drei, die wir keinen Sauerstoff zu atmen be- 
kommen haben und die Bombe gefüllt zur Erde zurückbrachten, 
haben auch bei 6800 m bei Ruhe noch keine Not empfunden. 

Ich kann hier die dramatische Scene nicht übergehen, welche 
sich am Kulminationspunkte unserer Fahrt in der Gondel ab- 
spielte. Der Kapitän wollte die Sauerstoffbombe, die neben ihm 
an der Innenseite des Fahrkorbes aufrecht befestigt worden war, 
zur künstlichen Atmung für uns drei ö&en, während Dr. Maurer 
für sich schon seit einiger Zeit die Bombe benutzen konnte, welche 
gleichzeitig der Aspiration für den Assmann^schen Thermographen 
diente. »Wo ist der Schlüssel?* Wir suchen ihn, freilich in einer 
so schlaffen Weise, dass man sich der Erfolglosigkeit nicht zu ver* 
wundem brauchte. «Vielleicht ist er unter diesen Mantel, unter 
jenen photographischen Apparat gelangt?* Der Meteorologe war 
über die Bomben gesetzt, er hätte es wissen sollen! Ohne künstliche 
Sauerstoffatmung duifte auch der Kapitän nicht wagen, weiteren 
Ballast auszuwerfen. Er will aber unbedingt unter Mitwirkung der 
künstlichen Sauerstoffatmung noch höher. Der Ehrgeiz des Luft- 
schifferkapitäns macht sich geltend. Und er hat immer noch die 
Hoffnung, es könnte höher oben ein Bückstrom uns in die Schweiz 
fuhren. Maurer widei*spricht sehr entschieden, er wisse be- 
stimmt, dass er bei weiterem Steigen in sichere Lebensgefahr ge- 
rate, jetzt soll die Ventilleine gezogen und der Ballon zum Sinken 
gebracht werden! Ich meinerseits erklärte ruhig und bestimmt: 
,f Kapitän, es ist genug, jetzt nicht mehr höher; es hat keinen wesent- 
lichen Nutzen!* — Denn mir schien die Situation nun auch sehr 
geföhrlich zu werden. Da fingierte der Kapitän, er könne die 
Ventilleine nicht ziehen, weil er vergessen habe, welche von beiden 
aus dem Ballon herabhängenden Leinen die normale Ventilleine 
und welches die Reissleine sei, und dürfe nicht riskieren, an der 
Reissleine zu probieren, sonst stürzen wir. Ich antwortete ihm: 

„Das zu wissen ist Deine Pflicht; übrigens weiss ich trotz meinem 

4 



— 50 — 

schlechten Gedächtnis und meiner Schlaffheit hier oben ganz be- 
stimmt, dass Du am roten Seil zu ziehen hast, das weisse ist die 
Reissleine. " Der Kapitän schaute mich an und erkannte den tiefen 
Ernst meines Willens, zudem fehlte der Schlüssel zum Sauerstoff 
immer noch. Nun fugte er sich, zwar ungera, aber er braucht es 
nicht zu bereuen, er hat vernünftig gehandelt. Dass ihm die 
Qualitäten nicht fehlten, so hoch zu gehen, wie es überhaupt je- 
mandem möglich ist, daran zweifelte keiner von uns. Er hat es 
gewollt, er ist nicht Schuld, dass es nicht so gekommen ist, wir 
haben ihn daran verhindert. Er zog 3 Uhr 43 Minuten an der Klappe, 
man hörte das Rauschen des austretenden Wasserstoffgases. Nach 
dem Aneroidbarometer, das ich nun beobachtete, fielen wir noch 
nicht, er zog ein zweites und drittes Mal. Jetzt kamen wir ins 
Sinken. Dass dort droben unser Meteorologe den ^ Schlüssel zum 
Himmelreich'' d. h. den Schlüssel zur Sauerstoffbombe im Stiefel 
wohl verborgen hielt, während wir ihn suchten, erfuhren wir selbst 
erst einige Tage später. Jene Scene bei 6800 m hat übrigens 
unser Einvernehmen nicht getrübt, sondern befestigt. Wir sind 
alle darüber einig, dass das Richtige geschehen ist. 

Während stets die steigende Ballonbeweguug mit ihrer Luft- 
druckabnahme nur wohlthätig wirkt, abgesehen von den Höhen 
über 5000 oder 6000 m, empfindet man beim Fallen einen dumpfen 
Druck in den Ohren. Durch häufiges Schlucken kann die Spannung 
im Ohr unter etwas Knall immer wieder ausgeglichen werden. 

Am Morgen der Ballonfahrt, ca. 7 ühr, hat jeder von uns 
sein gewöhnliches Frühstück, bestehend aus einer Tasse Gacao 
oder Milch mit Kaffee und ein oder zwei Brötchen, eingenommen. 
Für die Fahrt waren wir überreichlich verproviantiert. Zu dem, 
was wir mitzunnehmen besorgt waren, kamen noch freundliche 
Spenden, die man uns im letzten Momente in die Gondel 
brachte. Wir hätten, irgend in einem verlorenen Winkel fern von 
Menschen landend, mehrere Tage aushalten können. Aber das 
Schauen allein erfüllte uns in der Höhe, ein Gefühl von körper- 
lichen Bedürfnissen kam nicht auf. Ich habe um Mittagszeit drei 



— 51 — 

Beeren von einer Traube ans dem Weinberg meines lieben Kollegen 
Prof. de Riedmatten in Sitten gegessen, sonst nichts, weder festes 
noch flässiges, bis abends 9 Uhr. Meine Gefährten empfanden 
gegen Abend Hunger und stillten denselben an unserem Proviante 
erst eine Viertelstunde nach dem Abstieg. Ich hatte auch damals 
noch weder Bedürfnis noch gönnte ich mir die Zeit zum essen. 

Die Luft in der Höhe war sehr trocken. Der Feuchtigkeits- 
gehalt betrug während Stunden blos 22 bis 30 ^o. Dem ent- 
sprechend war auch keine Hamabsonderung vorhanden. Keiner 
von uns fühlte während der ganzen Fahrt und trotz der Kälte 
das geringste Bedürfnis in dieser Beziehung. Um so auffallender 
ist es, dass auch kein Durstgefühl entstanden war, selbst nicht bei 
denjenigen meiner Gefährten, die sonst, wie alle Nichtabstinenten, 
viel schneller durstig sind, als unsereiner. Auch ihre Flaschen 
kamen grösstenteils voll zur Erde zurück. Erst abends, ca. 9 Uhr, 
nach strenger Arbeit, trank ich öine Flasche mitgenommener Hafer- 
grütze, die in Sitten heiss in einen wollenen Strumpf eingewickelt 
worden und noch jetzt nach der Beise lauwarm geblieben war. 
Nachts 12 Uhr endlich konnten wir uns im guten Gasthaus zu 
Prauthoj an den Tisch setzen, es war vorher weder Zeit noch Ge- 
legenheit dazu gegeben. 

Ein Gefühl von Ermattung oder Hunger habe ich keinen 
Moment, weder im Ballon, noch nach dem Abstieg gehabt, und 
auch die Gefährten fühlten sich am folgenden Tage vollkommen 
wohl und frisch. 

Aber heiss kam es mir vor da unten auf dem Erdboden! 
Um ordentlich beim Demontieren des Ballons, beim Zusammenlegen 
und Einpacken, beim Bergen der Instrumente etc. eingreifen zu 
können, mnsste ich erst hinter einem Busche mein dünnes Flanell- 
hemd gegen ein leichtes baumwollenes vei*tauschen und den Bock 
ganz bei Seite legen, trotzdem ein kräftiger Nordost über die 
Plateaufläche blies. 

Wenn man auf den Bergen in trockener Höhenluft* bei scharfem 
Sonnenschein einige Stunden weilt, rötet sich die Haut und springt 



— 48 — 

Zögen in die Lungen. Der lästige Kopfschmerz, das zeitweise 
leichte Herzklopfen nehmen sofort ab mid ich fühle unmittelbar 
die erfiischende belebende Wirkung des Gases auf den geschwächten 
Körper.'' Später, nach dem letzten Aufstieg, am Kulminationspunkte 
unserer Bahn bei 6800 m über Gray ruft Dr. Maurer: »Ich 
kann nicht mehr ablesen, ich sehe kaum mehr." Dr. Biedermann 
machte die Ablesung am einen, ich am andern Instnimente, ich 
sah noch ganz gut und scharf, war aber schlaff und gleichgültig 
geworden. 

Jeweilen, wenn der Ballon nur 200 bis 500 m wieder fiel, 
waren wir sofort wieder neu belebt, die Wirkung der Luftver- 
dännung hielt nur so lange an, als wir in dieser Verdünnung uns 
befanden. 

Wenn wir wieder auf 4000 m heruntersanken, und das 
Thermometer wieder auf — 5^ gestiegen war, fühlt« ich mich sehr 
warm, so dass ich durch Aufknöpfen der Weste mir Kühlung 
schaffen musste. 

Wir haben aus ungenügender Erfahrung in den Vorbereitungen 
für den Aufenthalt in einer Höhe von über 6000 m entschieden 
einige Fehler begangen, die sich uns, zu spät, deutlich zeigten. 
Freilich wir hatten nicht die Absicht, über 5000 m zu steigen. 
Man sollte alle schützenden Einrichtungen fix und fertig treffen, 
bevor man deren Notwendigkeit empfindet, denn wenn 
man schon so hoch ist, dass das Bedürfnis sich einstellt, ist unter- 
dessen die Schlaffheit erschienen, welche jede Manipulation in Frage 
stellt oder gar durch eine Ohnmacht von einer Sekunde zur andern 
unmöglich machen kann (Tissandier, Sivel, Crocö-Spinelli, Glaisher, 
Coxwell etc.). Als wir merkten, dass es jetzt für uns alle am 
Platze wäre, künstliche Sauerstoffatmung in Gang zu setzen, steckte 
der Schlüssel noch nicht an der zu diesem Zwecke mitgenommenen 
Bombe mit komprimiertem Sauerstoff und das ßeduktionsventil zum 
langsamen Auslassen des komprimierten Gases lag daneben, statt 
schon mit samt den Kautschuckschläuchen angeschraubt zu sein. 
Alles sollte schon früher fix und fertig bereit sein und man muss 



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die waim haltenden Überkleider anziehen, bevor man zu frieren 
beginnt ! 

Indessen wir drei, die wir keinen Sauerstoff zu atmen be- 
kommen haben und die Bombe gefüllt zur Erde zurückbrachten, 
haben auch bei 6800 m bei Buhe noch keine Not empfunden. 

Ich kann hier die dramatische Scene nicht übergehen, welche 
sich am Kulminationspunkte unserer Fahrt in der Gondel ab- 
spielte. Der Kapitän wollte die Sauerstoff bombe, die neben ihm 
an der Innenseite des Fahrkorbes aufrecht befestigt worden war, 
zur künstlichen Atmung für uns drei öffiien, während Dr. Maurer 
für sich schon seit einiger Zeit die Bombe benutzen konnte, welche 
gleichzeitig der Aspiration für den Assmann'schen Thennogi'aphen 
diente. »Wo ist der Schlüssel?* Wir suchen ihn, freilich in einer 
so schlaffen Weise, dass man sich der Erfolglosigkeit nicht zu ver- 
wundern brauchte. „Vielleicht ist er unter diesen Mantel, unter 
jenen photographischen Apparat gelangt?* Der Meteorologe war 
über die Bomben gesetzt, er hätte es wissen sollen! Ohne künstliche 
SauerstofiFatmung durfte auch der Kapitän nicht wagen, weiteren 
Ballast auszuwerfen. Er will aber unbedingt unter Mitwirkung der 
künstlichen SauerstofiFatmung noch höher. Der Ehrgeiz des Luft- 
schiflFerkapitäns macht sich geltend, und er hat immer noch die 
Hoffnung, es könnte höher oben ein Rückstrom uns in die Schweiz 
fuhren. Maurer widerspricht sehr entschieden, er wisse be- 
stimmt, dass er bei weiterem Steigen in sichere Lebensgefahr ge- 
rate, jetzt soll die Ventilleine gezogen und der Ballon zum Sinken 
gebracht werden! Ich meinerseits erklärte ruhig und bestimmt: 
„Kapitän, es ist genug, jetzt nicht mehr höher; es hat keinen wesent- 
lichen Nutzen!* — Denn mir schien die Situation nun auch sehr 
gefährlich zu werden. Da fingierte der Kapitän, er könne die 
Ventilleine nicht ziehen, weil er vergessen habe, welche von beiden 
aus dem Ballon herabhängenden Leinen die normale Ventilleine 
und welches die Reissleine sei, und dürfe nicht riskieren, an der 
Reissleine zu probieren, sonst stürzen wir. Ich antwortete ihm: 

„Das zu wissen ist Deine Pflicht; übrigens weiss ich trotz meinem 

4 



— 50 — 

schlechten Gedächtnis und meiner Schlaffheit hier oben ganz be- 
stimmt, dass Du am roten Seil zu ziehen hast, das weisse ist die 
B.eissleine.'' Der Kapitän schaute mich an und erkannte den tiefen 
Ernst meines Willens, zudem fehlte der Schlüssel zum SauerstoflF 
immer noch. Nun fugte er sich, zwar ungera, aber er braucht es 
nicht zu bereuen, er hat vernünftig gehandelt. Dass ihm die 
Qualitäten nicht fehlten, so hoch zu gehen, wie es überhaupt je- 
mandem möglich ist, daran zweifelte keiner von uns. Er hat es 
gewollt, er ist nicht Schuld, dass es nicht so gekommen ist, wir 
haben ihn daran verhindert. Er zog 3 Uhr 43 Minuten an der Klappe, 
man hörte das Rauschen des austretenden Wasserstoffgases. Nach 
dem Aneroidbarometer, das ich nun beobachtete, fielen wir noch 
nicht, er zog ein zweites und drittes Mal. Jetzt kamen wir ins 
Sinken. Dass dort droben unser Meteorologe den „Schlüssel zum 
Himmelreich** d. h. den Schlüssel zur Sauerstoffbombe im Stiefel 
wohl verborgen hielt, während wir ihn suchten, erfuhren wir selbst 
erst einige Tage später. Jene Scene bei 6800 m hat übrigens 
unser Einvernehmen nicht getrübt, sondern befestigt. Wir sind 
alle darüber einig, dass das Richtige geschehen ist. 

Während stets die steigende Ballonbewegung mit ihrer Luft- 
druckabnahme nur wohlthätig wirkt, abgesehen von den Höhen 
über 5000 oder 6000 m, empfindet man beim Fallen einen dumpfen 
Druck in den Ohren. Durch häufiges Schlucken kann die Spannung 
im Ohr unter etwas Knall immer wieder ausgeglichen werden. 

Am Morgen der Ballonfahrt, ca. 7 Uhr, hat jeder von uns 
sein gewöhnliches Frühstück, bestehend aus einer Tasse Cacao 
oder Milch mit Kaffee und ein oder zwei Brötchen, eingenommen. 
Für die Fahrt waren wir überreichlich verproviantiert. Zu dem, 
was wir mitzunnehraen besorgt waren, kamen noch freundliche 
Spenden, die man uns im letzten Momente in die Gondel 
brachte. Wir hätten, irgend in einem verlorenen Winkel fem von 
Menschen landend, mehrere Tage aushalten können. Aber das 
Schauen allein erfüllte uns in der Höhe, ein Gefühl von körper- 
lichen Bedürfnissen kam nicht auf Ich habe um Mittagszeit drei 



— 51 — 

Beeren von einer Traube aus dem Weinberg meines lieben Kollegen 
Prof. de Biedmatten in Sitten gegessen, sonst nichts, weder festes 
noch flüssiges, bis abends 9 ühr. Meine Gefährten empfanden 
gegen Abend Hunger und stillten denselben an unserem Proviante 
erst eine Viertelstunde nach dem Abstieg. Ich hatte auch damals 
noch weder Bedürfnis noch gönnte ich mir die Zeit zum essen. 

Die Luft in der Höhe war sehr trocken. Der Feuchtigkeits- 
gehalt betrug während Stunden blos 22 bis 30 ^o. Dem ent- 
sprechend war auch keine Harnabsonderung vorhanden. Keiner 
von uns fühlte während der ganzen Fahrt und trotz der Kälte 
das geringste Bedürfnis in dieser Beziehung. Um so auffallender 
ist es, dass auch kein Durstgefühl entstanden war, selbst nicht bei 
denjenigen meiner Gefährten, die sonst, wie alle Nichtabslinenten, 
viel schneller durstig sind, als unsereiner. Auch ihre Flaschen 
kamen grösstenteils voll zur Erde zurück. Erst abends, ca. 9 Uhr, 
nach strenger Arbeit, trank ich öine Flasche mitgenommener Hafer- 
grütze, die in Sitten heiss in einen wollenen Strumpf eingewickelt 
worden und noch jetzt nach der Reise lauwarm geblieben war. 
Nachts 12 Uhr endlich konnten wir uns im guten Gasthaus zu 
Prauthov an den Tisch setzen, es war vorher weder Zeit noch Ge- 
legenheit dazu gegeben. 

Ein Gefühl von Ermattung oder Hunger habe ich keinen 
Moment, weder im Ballon, noch nach dem Abstieg gehabt, und 
auch die Gefährten fühlten sich am folgenden Tage vollkommen 
wohl und frisch. 

Aber heiss kam es mir vor da unten auf dem Erdboden! 
Um ordentlich beim Demontieren des Ballons, beim Zusammenlegen 
und Einpacken, beim Bergen der Instrumente etc. eingreifen zu 
können, musste ich erst hinter einem Busche mein dünnes Flanell- 
hemd gegen ein leichtes baumwollenes vertauschen und den ßock 
ganz bei Seite legen, trotzdem ein kräftiger Nordost über die 
Plateaufiäche blies. 

Wenn man auf den Bergen in trockener Höhenluft* bei scharfem 
Sonnenschein einige Stunden weilt, rötet sich die Haut und springt 



— 52 — 

an den Händen und im Gesicht auf, und zwai' nicht nur in der 
Julisonne, auch die September- und Oktobersonne kann noch solche 
Folgen haben. Das alles blieb bei uns im Ballon, trotz der un- 
unterbrochenen schai'fen Strahlung, vollständig aus. Die Erklärung 
dafür liegt wohl in dem Umstände, dass wir, weil mit dem Winde 
gehend, in völliger relativer Windstille uns befanden. Die feuchte 
Luftschicht um die Haut herum wurde nicht weggeblasen, die 
Haut deshalb nicht ausgetrocknet; man sah sogar bei bloss 25^0 
Feuchtigkeit den Hauch, freilich nur bis auf kurze Distanz vor 
dem Munde, und trotz dieser Trockenheit schlug er sich als Reif 
und Eis im Barte nieder. Weniger erklärlich bleibt mir die 
Thatsache, dass die anhaltende Blendung von den weissen Wolken- 
gebilden um und unter uns unsere Augen gar nicht angegriffen hat. 

Unsere Erfahrungen über das Befinden eines an sich gesunden 
Menschen im Ballon stimmen vollständig mit denjenigen anderer 
Luftschiffer überein. Bei guter Witterung ist eine Ballonfahrt in 
Höhen bis zu 4000 oder 5000 m ein unermesslicher Genuss von 
keinem Missbehagen gestört. Bei manchen beginnen bei 4500 m, 
bei den zäheren und abgehärteteren Naturen erst nahe an 6000 m 
oder bei 6500 m die unangenehmen Wirkungen der verdünnten 
Luft. Gegen die Kälte ist es stets leicht sich zu schützen. Es 
scheint, dass über 6000 m alle zunehmende Erschlaffung empfinden, 
der aber durch künstliche Sauerstoffatmung entgegen getreten 
werden kann. Über 7000 m ist für jedermann ohne künstliche 
Atmung höchste Lebensgefahr vorhanden. Die Fahrten bis in 
Höhen von über 9000 m, welche Berson (meteorol. Institut Berlin) 
ausgeführt hat, erforderten stets von 6000 m an künstliche Sauer- 
stoffatmung. 

Wird man den Gaurisankar ersteigen können? Im Luftschiff 
mit Sauerstoffatraung gewiss dereinst — aber als Bergsteiger? 
Ich halte nach den Erfahrungen der Luftschiffer die Arbeit des 
Steigens in gewöhnlicher Art in Höhen von 7000 bis 8840 m, in 
welche hinauf man sich unmittelbar vorher begeben hat, f&r ganz 
unmöglich. Jedenfalls würde auch da künstliche Sauerstoffatmung 



- 53 — 

helfen müssen. Gewiss spielt die Akkommodation eine bedeutende 
Solle und sie allein schafft vielleicht eine Möglichkeit. Man müsste 
in Stufen steigen, jeweils wieder einige Tage auf einer höheren 
verweilen und alles vorbereiten zur folgenden Stufe. So hat der 
Walliser Führer Zurbriggen den Aconcagua, ca. 6950 m hoch, 
erstiegen, freilich unter grossen Atembeschwerden. Ich denke mir 
die Berggänger mit der Sauerstoffbombe im Toinister und dem 
Schlauch im Munde langsam vordringend. Ein ungeheurer Apparat 
von Hülfsmitteln und Hülfsmannschaften, die, auch wieder in Stufen 
allmälich akkommodiert, ihre Tragarbeit verrichten würden, wäre not- 
wendig. Bei der Ballonfahrt fallt die Hülfe der allmälichen Ak- 
kommodation weg, weil man zu rasch hinaufkommt und nur kurz 
verweilen kann. Der Bergsteiger hat gegenüber dem Luftschiffer 
den Vorteil der Akkommodation, aber den grossen Nachteil der 
strengen Köi-perarbeit. 

Auch Pferde, Maultiere versagen wegen Bergkrankheit über 
4000 m Höhe leicht. 

Und hinauf in die Höhen, welche unsere meteorologischen 
„ballons sondes** erreichen,, in die 15000 bis 18000 m über der 
Meerniveaufläche mit — 80^ C wird niemals ein Mensch lebend zu 
dringen vermögen. Die künstliche Sauerstoffatmung bewahrt uns 
nicht vor der Expansion der Gase, die in den Flüssigkeiten unseres 
Körpers, besonders im Blute, enthalten sind und deren Ausscheidung 
zu Luftembolie und dadurch zum plötzlichen Tode führen muss; 
sie bewahrt uns auch nicht vor der Gefahr des Zerspringens von 
Blutgefilssen, vor Herzschlag etc., welche infolge der Abnahme 
des Luftgegendruckes viel leichter eintreten, als in der Tiefe. 

E. Land und Berge von Oben. 

Beim Blick vom Ballon herab auf das Land, klare Luft und 
heller Himmel vorausgesetzt, üben-ascht stets am meisten die 
wunderbare Kraft und Harmonie der Farben. Die Wälder sehen 
aus wie das schönste saftigste Moos, die verschiedenen Farb- 
tönungen verschiedener Baum- oder Waldarten sind viel klarer zu 



— 54 — 

1 

sehen als in der Regel unten auf der Erde. Die Farbunterschiede 
von Kulturwiese und Naturwiese, von verschiedenen Feldern, Obst- 
bäumen etc. bilden ein heniiches Gewebe. Dazu kommt, dass 
vom Ballon gesehen man häufig jeden Baum sich noch von seinem 
eigenen Schatten abheben sieht. Die Seen erscheinen mehr in 
ihrer tiefen blauen oder grünen Eigenfarbe, wenn wir nahe über 
denselben stehen, während sie uns unten an der Erde betrachtet 
stets zu einem mehr oder weniger grossen Teil oder auch ganz ge- 
\ spiegelte Himmelsfarbe bieten. Alle Farbunterschiede in der 

^\ Landschaft erscheinen vom Ballon aus viel stärker und lebhafter, 

viel farbenfrischer, die Luftperspektive ist viel geringer als unten. 
Dennoch ist das ganze nicht grell, sondern ein wunderbarer har- 
monischer Duft durchwebt es. Steigen wir höher und höher, so 
werden die Farbunterschiede geringer, ein feiner Dunstschleier 
legt sich allmälich zwischen uns und die Landschaft zu unseren 
Füssen. Bei über 4000 m Höhe hat er eine blass violette Färbung. 
Bei über 6000 m schien mir das ganze Land unter uns stets leicht 
blass, violett, dumpf abgetönt zu sein. Es ist ein viel grösserer 
Genuss, in geringer Höhe in 1000 bi* 2000 m über dem Boden 
zu fahren, als in 3000 bis 5000 m. 

Die Erklärung für die angedeuteten Erscheinungen ist nicht 
schwierig zu geben: 

Blicken wir unten auf der Erde nach einem 10 km entfernten 
Berg, so schauen wir durch 10 km dichte Atmosphäre hindurch 
und daraus ergiebt sich die starke blaue luftperspektivische Ab- 
tönung aller Farben, wodurch die ursprünglichen Unterschiede 
stark verwischt werden. Schauen wir aber vom Ballon hinab auf 
den Berg, so führt nur ein Teil unserer Blicklinie durch die tiefen 
dichteren Luftschichten, ein grösserer Teil durch dünnere und 
deshalb auch weniger färbende Luft. Die blaue Luftbrille, die 
zwischen uns und dem Berge liegt, ist blasser gefärbt und deshalb 
dringen die Eigenfarben des Berges unveränderter in unser Auge. 
Der Farbenglanz der Erde, den wir staunend genossen, war bei 
der Wega-Fahrt besonders herrlich über dem Khonethal und den 



— 55 — 

Waadtländeralpen. Weiter gegen Norden kam die Trübung der 
Luft, der Herbstdunst mehr und mehr zur Geltung und zerstörte 
den Farbenglanz. Bei andern Ballonfahrten, bei ganz hellem Wetter, 
war er mir noch auffallender als während der Wegafahrt. 

Viele Stücke der Landschaft, so besonders Städte und Dörfer, 
sehen aus wie ein wunderschön gemalter Plan. Eirchtüi-me, senk- 
recht unter uns, sind von den Häusern durch ihren langen Schatten 
zu unterscheiden. — Die Pappeln in langen Keihen neben den 
Bhonedämmen zeichnen sich dm'ch ihre langen Schatten am besten 
vor andern Bäumen aus. Die Strassen durchziehen wie weisse 
Fäden die Landschaft und verbinden einen Ort mit dem andern. 
Die Eisenbahnen unterscheiden sich durch ihre weniger gekrümmten 
Formen und ihre dunklere Farbe und die Flüsse glänzen meistens in 
der Spiegelfarbe des Himmels hell heraus. Sehr in die Augen fallende 
Gegensätze zeigen z. B. die alten Überschwemmungslande der Ehone 
und ihrer Seitenbäche einerseits, andererseits die sonnigen Abhänge 
nördlich des Khonethales, wo tausende von Mäuerchen terrassen- 
förmige Kebberge halten und wo dazwischen niedliche sonngebräunte 
Dörfchen in Baumwiesen kauern. Wiederum ganz anders sehen 
die Waldregionen der Schattengehänge oder der höheren Kegionen 
aus. Anschwemmungsebene, Kulturzone, Waldi-egion, Alpenregion, 
Schutt, Fels, Schnee und Gletscher, alles überblickt sich in seiner 
stufenweisen Anordnung und seinem mannigfaltigen Ineinanderweben. 

Zu unsern Füssen liegt der gewaltige Bergsturz der Diablerets 
von 1749. Man übersieht die Fluidalstruktur seines Trümmer- 
stromes und dessen Aufbranden an den im Wege stehenden Berg- 
koulissen, sowie die dadurch bedingte Ablenkung der Schuttmassen. 
Überall lassen die Rinnen an den Berghängen erkennen, wie die 
Abwitterungsvorgänge den Berg modellieren und seine Form be- 
herrschen. Es ist eine in den natürlichsten Farben gemalte Land- 
karte mit einem unermesslichen Detail, auf die wir hinunterblicken 
und die uns in klarem Zusammenhange auf den ersten Blick das 
zeigt, was wir unten nur langsam Stück für Stück, eins nach dem 
andern finden und sehen können. Je mehr Naturerkenntnis man 



— 56 — 

schon mitbringt, desto grösser wii'd der Genuss ina Überschauen, 
desto mehr leuchtet unserem Auge in ergreifender Klarheit das 
entgegen, was wir vorher nur im Innern des Geistes konstruiert, 
nicht mit leiblichem Auge gesehen hatten. Ich habe geologisch 
und geographisch vom Ballon herab nicht Dinge entdeckt, die neu 
sind, oder die nicht auch unten entdeckt werden könnten. Manches 
aber, worüber ich zu lehren hatte auf Grundlage einer Vorstellung, 
die aus vielen Einzelbildern mühsam zusammengesetzt worden ist, 
das habe ich hier wirklich nun so gesehen und berichte in Zukunft 
über . das Gleiche nicht nur auf Grund meiner Vorstellungskraft, 
sondern der direkten Anschauung. Zu schauen, was ich 
mir vorher bloss vorstellen musste, das war der uner- 
messliche Genuss! Ein Naturtheater war es, das Bild um 
Bild vom Bhonethal über das Schweizerland bis weit nach Frank- 
reich hinaus an uns vorübeifühi-te. Ich kann diese Bilder nicht 
aufzählen, man kann sie so wenig beschreiben, wie eine wunder- 
bare Musik durch Worte dem Leser zum Genüsse gebracht werden 
kann. Der Genuss ist leider an sich egoistisch, er lässt sich 
schwer vermitteln und verallgemeinern. 

Wie eine in natürlichen Farben gemalte Landkarte, sagte ich, 
liegt das Land unter uns. Vergleichen wir den Blick aus dem 
Ballon mit der graphischen Landesdarstellung in Belief und 
Karten. 

Zunächst muss ich sagen, dass das Farbenbild der Berge 
von oben mich in keiner Art überrascht hat, sondern vollständig 
mit dem übereinstimmt, was ich erwartet habe. Die Art und 
Weise, wie wir unsere Gebirgsreliefs in natürlichen Farben zu 
malen bestrebt gewesen sind, entspricht der Natur. Am vollen- 
detsten entspricht das Imfeld'sche Relief des Vierwaldstädtersee's, 
wie es auf dem eidgen. Generalstabsbureau in Bern aufgestellt ist, 
z. T., aber weniger vollkommen, auch das 1 : 25000 Relief der 
Herren Imfeid und Becker, wie es im Gletschergarten in Luzem 
steht, das Simon'sche Relief des Finsteraargebietes in Basel und 
andere mehr, dem Farbeneindruck, den mir aus 5000 bis 5500 m 



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— 57 — 

Höhe die Waadüänder- und Freiburger-Alpen gemacht haben. Ich 
wüsste nicht viel daran zu verbessern. Ganz besonders scheint 
mir im erstgenannten die Abtönung von saftigem Grün der Tiefe, 
in Gelbgrun der höheren Alpen und die Waldfarbe sehr gut ge- 
troffen zu sein. Allerdings entspricht die Höhe, in der unser Auge 
gewöhnlich ein solches Belief ansieht, nicht 5000 bis 6000 m, 
sondern dem Dreifachen. Allein von der dreifachen Höhe würde 
wahrscheinlich das Gesamtfarbenbild ähnlich bleiben, nur würde 
aUes etwas matter und unklarer und etwas weniger gelblich sein. 
Zudem möchte ich den Satz gar nicht unterschreiben, ein Belief 
müsste so bemalt werden, wie man es aus der der normalen 
Augenhöhe des Beschauers entsprechenden Höhe sehen würde. 
Man kann ja mit dem Auge beim Beschauen eines Beliefs auch 
näher gehen. Im besonderen möchte ich noch hervorheben, dass 
nach dem, was ich vom Ballon gesehen habe, es gerechtfertigt ist, 
ein Belief ziemlich in den Farben zu malen, in denen das Terrain dem 
Auge in der Nähe erscheint mit bloss ganz schwacher Milderung 
der Kontraste, denn was gerade bei dei- Ballonfahrt uns stets am 
meisten überrascht, das ist eben die unmittelbare volltönige Kraft 
der Landschaftsfarben, die bei klarer Luft viel weniger dmxh 
Luftperspektive verändert sind, als wenn wir sie unten von der 
Erdoberfläche aus betrachten. 

Schon von hoher Bergkante herab gesehen verschwinden die 
Höhendifferenzen in den tieferen Teilen des Gehänges für das Auge, 
so dass der Absteigende glaubt, bei jenem Baume unten im Thalboden 
zu sein, während es von dort noch viel tiefer hinabgeht. Vom 
Ballon aus ist diese verflachende Wirkung im Bilde der Berge noch 
viel stärker. Die Berge erscheinen unglaublich flach, wie von oben 
herab zusammengequetscht und imponieren gar nicht mehr. Selbst 
die beste Beleuchtung giebt bei weitem nicht die vielen Abstufungen 
in der Schattierung wie wir sie in Landkarten anwenden, um das 
Belief herausspringen zu lassen. Fast giebt es nur die drei Un- 
terschiede: „besonnf*, „nichtbesonnt (schattig)** und „beschattet 
(im Schlagschatten)*. Zwischenstufen sind ausser hie und da „im 



— 58 — 

Streiflicht** kaum zu sehen. Der schauerliche Kessel am Nord- 
abhang der Diablerets, der Creux du Champ, war nur durch den 
verdunkelnden Schlagschatten auffallend. Ich musste lange senk- 
recht nach unten suchen, bis ich den Kocher de Naye und die 
Dent de Jaman etc. erkennen konnte. Diese kühn geformten Gipfel 
sprangen nicht durch ihre Schattierung wie bei einer Keliefkarte 
in die Augen, sondern ich konnte sie bloss aus dem Verlauf der 
umgebenden Thäler und Schluchten und der Wege und Häuser 
allmälich herausfinden. Dass das Kurhaus Aux Avants höher 
liege als Glion und Glion höher als Montreux, war aus der Färbung 
der umgebenden Beben, Kastanienwälder, Tannenwälder und aus 
dem Verlauf der Bachrinnen und den Windungen der Strassen zu 
schliessen, aber der blosse Anblick bot nicht so viel Gebirgsrelief, 
dass man eine Höhendifferenz dieser Orte ohne weiteres bemerken 
konnte. Um so auffallender ist es mir geblieben, dass der Neuen- 
burgersee auf den ersten Blick als höher gelegen als der Genfer- 
see erschien. 

Besonders merkwürdig war in dieser Beziehimg das Jurage- 
birge. Der ganze Jura unter uns erschien überhaupt gar nicht als 
Gebirge. Hier half der Umstand wesentlich mit, dass die Sonne 
schon gegen WSW stand und somit der SE-Abfall und der NW-Ab- 
fall der lang gestreckten Juraketten keine starken Beleuchtungs- 
differenzen mehr aufweisen konnten. Aus der Höhe erschienen 
auch die Felswände des Juragebirges sehr gering. Das Einzige, 
was überhaupt den Jura vom umgebenden Lande unterscheiden 
liess, war die prachtvoll streifenförmige Anordnung der Wälder 
und Wiesen. Die einen Wiesenstreifen waren dörferbesetzt, die 
anderen nicht. Die ersteren bedeuteten offenbar Längsthäler, die 
letzteren die Weiden auf den Bergrücken. Die Waldstreifen 
entsprechen den Gehängen der Berge. Wie runde Waldringe mit 
einem hellen Felsrand erschienen die Kessel, so z. B. gerade unter 
uns der Creux von St. Sulpice. Nichts liess Höhe und Tiefe direkt 
sehen. Nichts liess merken, dass hier 1000 m relative Erhebung 
vorkommen. 



'l'.SSt, L^^JLr 



— 59 — 

Das schweizerische Mittelland zwischen AlpeD und Jura er- 
schien völlig flach. Da waren es wiederum bloss die Farben von 
Wald, Wiese, Feld und besonders die Dörfer, die Strassen und 
die meist mit Gebüsch berandeten Bäche und Flüsse, welche ein 
Belief erraten liessen. 

Ganz gewiss sind alle Schattierungen in Tönen oder Schraffen 
oder Horizontalkurven, welche wir in den Landkarten anwenden, 
um die Yertikalgliederung des Landes zu zeichnen, verglichen mit 
dem wirklichen Bilde des Landes aus der Höhe gesehen, enorm 
übertrieben. Die Reliefwirkung unserer Karten ist unvergleichlich 
gross und stark gegenüber dem Bilde vom Ballon aus. In unseren 
Karten springt uns das Relief ins Auge, in Wirklichkeit dagegen 
viel mehr das durch die Kulturen bedingte Parbenbild und vom 
Ballon aus sehen wir nur sehr wenig direkt vom Relief. Indem ich 
diese Differenz im Anblick der Landschaft aus dem Ballon und der 
Karte hervorhebe, will ich unsere Karten durchaus nicht tadeln. 
Im Gegenteil ist es, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein Mangel, 
dass wir im Ballon so wenig vom Relief sehen. Wir leben aber 
nicht im Ballon, die Karten sind nicht für die Ballonfahrer ge- 
macht, wir sehen das Relief unten viel deutlicher im Profil der 
Berge, es hat für uns und unser Leben gi-osse Bedeutung und es 
soll deshalb in der Karte recht deutlich sein. Auch soll die Karte 
dazu dienen, unserem geistigen Auge die Gesamtform des Gebirges 
zu vermitteln und dazu darf sie sich einer geometrisch konven- 
tionellen Methode bedienen, die den Zweck erfüllt — ganz unbe- 
kümmert darum, ob das Land vom Ballon aus ebenso aussehe 
oder nicht. Die Karte verhält sich hierin ganz anders als das 
Relief. Sie ist ja eine konventionelle Darstellungsart und sie darf 
eine konventionelle Methode anwenden, um das zum Ausdruck zu 
bringen, was wir zu erfassen wünschen. Es ist ebenso berechtigt, die 
orogi'aphische Gliederung in der Karte stark hervorzuheben, sagen 
wir: zu übertreiben, als es andererseits verkehrt wäre, in einem 
Relief Schraffur- oder Höhenschichtentöne oder Überhöhung an- 
zuwenden. 



— 60 — 

Ein Fehler aber unserer Karten ist mir durch die Ballonfahrt 
wiederum recht deutlich vor die Augen getreten : D ie Beleu chtung 
aus NW! Wie verkehrt ist es von vorneherein, eine Gegend im 
Kartenbilde so zu beleuchten, wie sie niemals in Wirklichkeit be- 
leuchtet sein kann. Zieht man nicht die Abstraktion zur geo- 
metrischen Vertikalbeleuchtung vor, will man also schiefe Be- 
leuchtung, so sei sie eine mögliche! Der eine Thalhang ist dicht 
mit Dörfchen besetzt, hat herrliche Kultm-en, Reben, Äcker, Baum- 
wiesen, alles das infolge der anhaltenden Besonnung. Die Karto- 
graphie hingegen mit ihrem Nordwestlicht stellt ihn in den kühlen 
Schatten. Der andere Thalhang ist feucht, reich bewaldet, spärlich 
besiedelt, denn er liegt fast immer im Schatten; die Karten mit 
Nordwestlicht geben ihm die grellste Sonne. Wo der Schüler bei 
seiner letzten Schulreise in der Sonne geschmachtet hat, ist auf 
seiner Schulkarte dunkler Schatten und wo in schattigem Wald 
an kühler Quelle gelagert wurde, brennt auf der Schulkarte die 
Sonne. Wie schön haben wir aus dem Ballon den durch- 
greifenden Unterschied von Nordseite und Südseite des grossen 
Bhonethales überblickt. Wie durchschlagend, wie auffallend und wie 
verständlich ist er durch die Besonnung! Eine ganz ähnliche 
grosse, ebenso auffallende kulturell enorme Differenz wai* zu über- 
sehen zwischen Nordseite und Südseite des Lemansee^s. Am 
gegen die Sonne gekehrten Nordabhang verschmelzen die Dörfer 
miteinander, zwischen den Beben ziehen zahlreiche Strassen durch, 
alles ist belebt. Das schattige Südufer ist wenig bewohnt, waldig, 
ohne Reben, arm an Verkehrswegen. Aber selbst die neue Schul- 
wandkaiie der Schweiz stellt die Rebgelände des Waadtlandes in 
tiefblauen kühlen Schatten und besonnt das einförmige waldige 
savoyische Ufer. Sie besonnt den schattigen Creux du Ghamp, be- 
schattet die sonnigen verbrannten Südabhänge des Haut de G17. 
Sie besonnt die schattigen Terrassen an der Nordseite der Berge, 
wo die Schneelinie viel tiefer liegt und der Schnee länger liegen 
bleibt. Am Rigi, am Pilatus, überall kommt sie in den schroten 
Gegensatz mit der Wirklichkeit. Es ist diese Nordwestbeleuchtung 



— 61 — 

in den EarteD ein Unsinn, der der Natur mit der Faust ins Ge- 
sicht schlägt und jeden Zusammenhang von Besonnung mit Kultur, 
Besiedelung, Bewaldung, Bewässerung, Schneestand etc., also mit 
den grössten Interessen des Menschen, in unsem Karten nicht nur 
unsichtbar macht, sondern auf den Kopf stellt. 

Beim Zeichnen müsse man doch stets das Licht von links 
oben nehmen, um arbeiten zu können, antwortet mir ein ver- 
knöcherter Kartenzeichner. So drehe er doch die Karte beim 
Zeichnen um! Warum soll Süden nicht oben und Osten links ge- 
stellt sein können? Es ist ja wiederam nur eine zufällige ver- 
steifte Gewohnheit, dass wir bei Landkarten Norden nach oben 
legen. Hätte ich in einer Schule Geographieunterricht zu geben, 
so würde ich die Wandkarte eine Woche lang mit Norden nach 
oben, eine folgende Woche mit Osten nach oben, dann mit Süden, 
mit Westen nach oben hängen, um diese ungeschickte Versteifung 
zu vermeiden. 

Wenn aber eine Karte mit Südostbeleuchtung gezeichnet sei 
und dann an eine Wand gehängt werde, wo das LicBt von links 
oben komme, »so erscheinen die Berge als Löcher*. Das ist nicht 
wahr, wenn die Karte gut gezeichnet ist! Zudem helfen die Flüsse 
stets dem Auge und der Vorstellung nach, um auch auf den 
ersten Blick niemals Thäler und Gräte zu verwechseln. Sodann 
habe ich noch nie bemerkt und noch nie klagen hören, dass bei 
einer Karte mit NW-Beleuchtung an eine Wand mit Licht von 
rechts gehängt, die Berge als Löcher erscheinen, und doch müsste 
das ebenso gut der Fall sein — und diese Stellung kommt oft 
genug vor. Für eine Karte, weil sie eine Ebene ist, hat es über- 
haupt sehr wenig Einfluss, von welcher Seite die Beleuchtung 
komme. Sind nur die Berge gut gezeichnet, so erscheinen sie als 
Berge mit dem natürlichen Süd- oder Südost- oder Südwestlicht, 
so gut wie mit dem erlogenen Nordwestlicht. Darin liegt keine 
Schwierigkeit. 

Die Karte der Tödigruppe in 1 : 50000 von Henn R. Leu- 
zinger gestochen für Jahrgang 1 des Jahrbuches vom Schweizer 



— 62 — 

Alpenklub (leider vergriflFen) ist meines Wissens bisher die erste 
und einzige solche Hoch-Qebirgskarte mit Nordwestlicht. Auf 
meine Verwendung hat die schweizerische geologische Kommission 
zur reduzierten geologischen Karte der Schweiz in 1 : 500000 einen 
Schattierton mit SE-Beleuchtung herstellen lassen. Ausserdem be- 
stehen nur wenige kleine Versuche. Gerade für den Nordrand 
der Alpen bewährte sich hier die SE-Beleuchtung um so besser, 
als hier ähnlich wie im Jura die Mehrzahl der Berge gegen N sehr 
steil abbrechen, gegen S flacheren Schichtrücken kehren. 

Genug davon. Ich konstatiere, dass vom Ballon gesehen das 
Verkehrte der NW-Beleuchtung unserer Karten durch den direkten 
Vergleich der Natur mit der Karte, die ich in den Händen 
hielt, wiederum sehr störend und auffällig entgegen getreten ist. 
Möchten endlich die Kartographen dieses falsche Dogma über- 
winden und das Ideal hochhalten: Dass die Karte die natürlichen 
Beziehungen der darzustellenden Dinge möglichst verdeutlichen 
soll. Die Natur ist unser höchster Lehrmeister. Mit der NW- 
Beleuchtung für Karten auf der Nordhalbkugel haben wir sie 
verlassen ! 

Von ergreifender Grossartigkeit war aber der Anblick der 
Alpen, als wir nicht mehr senkrecht über ihren Gräten, sondern 
weiter nördlich entfernt in annähernd 6000 m Meerhöhe etwa 
über Moudon standen und von da weiter nordwestlich trieben. 
Freilich klebten eine Menge von Cumuli an den Gräten und 
Gipfeln und über der Ostschweiz lag bis 1400 m Nebelmeer. Über 
uns war der wolkenlose schwarzblaue Himmel, kaum ein Cirrhus 
trübte ihn. Nun erschienen die Alpen als ein enormer, zusam- 
menhängender mehrfacher Wall vom Säntis bis ins westliche 
Savoyen; wie eine ungeheure brandende See schienen sie in mehr- 
fachen, schäumenden Wellenkämmen uns entgegen zu kommen. 
Wii* sahen sie nun nicht mehr von oben, was sie verkleinert 
hätte, sondern mehr in einem Gesamtaufriss. Die Formen waren 
üeilich zu klein, zu entfernt, um sie photographisch festzuhalten. 
Als letzter im Osten erhob sich recht selbstständig der Säntis aus 



— 63 — 

dem Nebelmeer. Mit Fernrohr hätten sie uns gewiss von dort 
sehen können! Mythen, Bigi schauten als Inseln aus dem Nebel- 
meer hervor, das gerade bis Bigikaltbad reichte. Mürtschenstock, 
Qlämisch, Tödi, Windgällen, ürirotstock, Titlis, alle die lieben 
Bekannten waren leicht zu erkennen. Dagegen mehrten sich die 
kleinen Ballwolken gegen das Bemeroberland hin. Das eine Mal 
war die Haslijungfrau frei; dann guckte das Finsteraarhorn nadel* 
förmig zwischen den weissen Nebelballen heraus. Ich unterschied 
deutlich Aletschhorn, Eiger, Jungfrau, Qspaltenhorn, Blümlisalphom, 
Alteis. Vor den Berneroberländern zwischen Stockhorn und Niesen 
sah man in ein schattiges blaues Loch, den Thunersee, hinab. 
Dann dahmter und weiter rechts erkannte ich die Mischabel, Monte 
Bosa, Weisshorn, Grand Combin etc. Die genannten Walliser und 
noch viele andere mehr schauten hoch über den Grat zwischen 
Wildstrubel und Dent de Mordes hinaus und man sah deutlich, 
welch gewaltige Thaltiefe und Thalbreite dazwischen liegt. Der 
Montblancgipfel schaute niemals aus seiner Nebelhülle, aber seine 
Lage und Form wai*en sehr deutlich durch die kleinen ihn um- 
hüllenden und dicht anklebenden Ballwolken angegeben. Dagegen 
ragte einmal die Aig. d'Argentiöre und die Aig. du G^ant hervor. 
Die nördlicheren Savoyerberge waren fast wolkenfrei. 

Zur gleichen Zeit überblickten wir die ganze westliche Hälfte 
des schweizerischen Mittellandes. Das Nebelmeer des Ostens 
endigte ungefähr auf der Linie von Neuchätel nach Bern. Nur 
wenige vereinzelte kleine Nebelchen schwebten hie und da unter 
uns. Eines davon hatte eine so scharf begrenzte eckige Gestalt, 
dass ich bei dessen Anblick erst meinte, einer von uns hätte ein 
weisses Taschentuch herunterfallen lassen. Das Land war zusam- 
menhängend klar zu überblicken bis Lausanne, wo dann weiter 
westlich abermals Nebelmeer folgte. Westlich von Genf ragte der 
Jura über den Nebel hoch hinaus und der ganze Bogen des Jura 
von seinem Verschmelzen mit den Savoyeralpen hinaus bis über 
den Weissenstein war deutlich sichtbar. Auch für den Jura gilt 
das gleiche wie für die Alpen: Seine Gestalt war viel deutlicher 



— 64 — 

aus der EntfeiDUDg in einer Art Aufriss gesehen als in der Nähe 
von oben betrachtet. 

Keinem von uns wird das Bild aus der Seele erlöschen, das 
uns in einem Blicke die Alpenwand vom Sentis bis Salfeve, den 
Jura und das zwischenliegende Molasseland mit Neuenburgersee, 
Murtnersee, Thunersee, Genfersee schauen liess, am Horizont gegen 
Norden weisses Nebelmeer, über uns blendende Sonne am schwarz- 
blauen Himmel — wir selbst in stiller Kälte schwebend hoch über 
allen Bergen und allen den blendenden Wolkengebilden. Hier 
fühlten wir uns wie ausserhalb der Erde, hinabschauend auf ein 
grosses, schönes, liebes Stück Erde — es war beim Geniessen wie 
ein Traum, es ist uns in der Erinnerung wie ein schöner Traum 
geblieben und doch, es war ja hen-liche Wahrheit! 

Gegen den Neuenburgersee sinken wir etwas tiefer und sehen 
deshalb um so schöner das Gewebe der Oi-tschafben, Strassen, 
Felder, Reben, Baumwiesen am Nordufer des Sees. Sehr deutlich 
erkennen wir die Dünen, welche am SW-Ende des Sees sich seit 
der Juragewässerkorrektion auf dem trocken gelegten Strande 
gebildet haben , die einzigen Dünen der Schweiz ! Unter uns 
liegen die Felsklippen der Arpilles und die Windungen der Strasse 
nach Ste. Croix. 

Das Juragebirge, das wir überquerten, war zusammenhängend 
zu überblicken. Es sah aus, wie eine Schar von kleinen Bunzeln 
in der Erdrinde. Die Höhen waren gar nicht bemerkbar, die 
Runzeln aber durch den streifenförmigen Wechsel von Wald, Fels, 
Wiese deutlich gezeichnet. Alle die typischen Erscheinungen des 
Jura, seine Längsthäler und Längskämme, Querklusen, Circus- 
trichter waren wunderbar wie auf der besten Karte zu sehen, aber 
auf einer gemalten Karte mit sehr wenig Reliefzeichnung. Die 
Armut an Gewässern war auffallend im Gegensatz zum Molassen- 
land. In den Furchen konnte man kaum Wasser sehen. Recht 
deutlich war das vorherrschend nördliche Oberliegen der Ketten 
und die Abstufung gegen Norden, d. h. die Einseitigkeit im Bau 
des Jura zu überschauen. Ich wünschte in Gedanken Eduard Suess 



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— 65 — 

zu uns. Das ganze Bild erinnerte mich an die Kunzelsysteme auf 
der Oberfläche einer erstan-enden Lava oder an die Runzeln einer 
durch Blasen verschobenen Haut auf heisser Milch, wobei der 
Schub von Südosten gekommen und die Falten nach Nordwesten 
schuppenförmig übereinander gestossen worden sind. Die grosse 
horizontale Transversalverschiebung im Jura, welche von MoUens 
bis über Pontarlier reicht und den Lac de Joux östlich absperrt, 
war von der Höhe sehr auffällig. Sie sah aus, wie ein gi'osser 
Schnitt durch alle Ketten und man konnte sehr gut erkennen, wie 
die Längszonen an diesem Querschnitt abgescheert und verschoben 
sind. Das Bild entsprach durchaus demjenigen, das eine geologische 
Karte gibt. Eine gründliche Spezialuntersuchung über diese merk- 
würdige Erscheinung könnte sehr wertvoll werden; sie fehlt uns 
immer noch. Manche der gi'ossen tief greifenden Züge im Antlitz 
der Erde sind vom Ballon aus überraschend klar zu übersehen, 
während die kleineren Formen sich verlieren. 

Die verschlungenen Wege des Doubs zeichneten sich zu- 
sammenhängend. Besan9on war senkrecht unter uns. Dann aber 
verloren sich bald mehr und mehr die Spuren der Längsstreifung 
der Landschaft, wir waren über das Juragebirge hinaus gekommen. 
Die Alpenmauer blieb noch lange hinter dem verschwindenden 
Jura sichtbar. Schwarzwald und Vogesen waren niemals zu er- 
kennen, dorthin lag alles in unbestimmtem Dunst, hingegen soll 
man uns von dort gesehen haben. Der Oignon, silberglänzend, 
schlängelt sich unter uns durch die Ebenen, aber unten wird es 
immer dumpfer und dunstiger, man sieht fast nur noch die weissen 
Linien der Strassen. Ich kann mich nicht erinnern, wo etwa wir 
die Alpen aus dem Auge verloren haben, alles war wie in Dämmer- 
licht gehüllt, als wir über Gray 6800 m erreichten. Dieses Däm- 
merlicht war vielleicht nur subjektiv. Weiter gegen Nordwesten 
standen unter uns die einzelnen blendenden kleinen Ballwolken alle 
genau in gleichem Niveau, darüber war die Luft hell, darunter 
dunstig bläulichweiss. Das Auge konnte Felder, Wiesen und 

Wälder nur noch mit Mühe, die Photographie konnte sie gar nicht 

5 



— 68 - 

3) Das Nebelmeer war am 3. Oktober 1898 als eine ebene 
horizontale dünne Schicht kleiner Ballwolken entwickelt, welche 
oflFenbar die Grenzregion zwischen der oberen Strömung aus SE 
und der unteren aus NE bedeutete und in fast stiller Luft stille 
stand. Über dem Nebelmeer war der Himmel vollständig klar, 
und höhere Cirrhuswolken fehlten fast ganz, unter dem Nebelmeer 
aber war ein feiner, glatter, bläulich-weisser Dunst, welcher mit 
ziemlich scharfer Grenze nach oben gerade bis ins Niveau der 
kleinen Nebelmeerwölkchen reichte. Die Nebelmeerschicht war 
glücklicherweise sehr lückenhaft. Gerade über dem grössteu Teile 
der westlichen Schweiz, wo wir fuhren, war sie blos angedeutet 
durch vereinzelte kleine Wölklein, welche, von oben wie Baumwoll- 
flocken aussehend, streng am oberen Bande der unteren trüberen 
Luftschicht sich hielten, das Land war offen. So reichten die 
blossen Andeutungen des Nebelmeeres ins Rhonethal bis Val 
d'Illiez, aber nicht weiter hinauf. Man sah die obere Dunstgi'enze mit 
einigen Wolkenflocken deutlich über Thuner- und Brienzersee. Über 
Bern und im Jura, von Neuenburg an östlich, war die Nebelmeer- 
schicht zusammenhängend, so dass Pilatus, Rigi, Mythen, Säntis 
als Inseln daraus hervorragten. Dort im Osten stand ihre obere 
Grenze zwischen 1400 und 1500 m (Rigikaltbad eben noch sicht- 
bai*), gegen Westen und in die Alpenthäler hinein eher etwas höher 
bei 1600 bis 1800 m. Die Dicke der Nebelmeerschicht nahe 
ihrem Rande schien meistens nicht viel mehr als 50 bis 100 m 
zu betragen, nur wo sie dicht zusammenhängend war, wie z. B. 
wo wir sie beim Abstieg durchfahren haben, mag sie über 200 m 
erreicht haben. Nirgends mischten sich die vorher besprochenen 
Alpenwolken mit den Gebilden des lückenhaften Nebelmeeres. Die 
ersteren lagen höher und nur vom Diableretkamme an südlich, die 
letzteren tiefer und von den Alpen an nördlich. Die ersteren 
schmiegten sich der Gebirgsoberfläche an, die letzteren waren in 
ein ebenes Niveau geordnet, welches ganz unabhängig von der Ge- 
staltung und der Beschafl'enheit des Untergrundes blieb. Kaum 
war hie und da ein zwischenliegendes Wölklein zu sehen, dessen 



- 69 — 

Zugehörigkeit zur einen oder anderen dieser Kategorien zweifelhaft 
gewesen wäre. In der Form des einzelnen Wölkchens war aber 
kein Unterschied zu sehen, er lag nur in der Gruppierung und 
Stellung. Das ganze Gebilde des Nebelmeeres erschien dem Auge 
als eine unermessliche Ebene, etwa als ob eine etwas trabe Glasplatte 
mit Baum wollflocken überstreut zwischen den tieferen und höheren 
Luftschichten im Niveau von 1600 bis 1800 m stünde. Senkrecht • 
hinab gesehen war die Trübung durch die untere Luftschicht wenig 
bemerkbar, wohl aber bildete sie für die schiefe oder flache Blick- 
richtung einen Schleier über der Erdobei-fläche. Die photo- 
gi'aphischen Aufnahmen wurden durch den letzteren sehr stark 
beeinträchtigt. Die Nebelmeerschicht in dieser Gestaltung ist 
wohl bei sonst guter Witterung eine bezeichnende Herbsterscheinung. 
Sie trug nicht wenig dazu bei, im Beschauer das Gefühl zu er- 
wecken, dass er abgeschlossen von der Erde, ausserhalb derselben 
in einer andern Welt schwebe. 

Dass über der Nebelmeerschicht SE-Wind, darunter NE 
wehte, ferner dass sie da, wo wir sie beim Abstieg durchfielen, 
sehr dick grau und dunkel uns vorkam, haben wir schon hervor- 
gehoben. Auch an dieser Stelle betone ich nochmals die am 
Schlüsse des vorigen Kapitels schon beschriebene Thatsache, dass 
sich gar keine Beziehung von der Bodengestalt zu den Lücken 
und Rissen im lückenhaften Nebelmeer erkennen Hess. Während 
unserer ganzen Fahrt schlug nie der Laut eines Vogels an unser 
Ohr. Über dem Nebelmeer als Hintergrund hätten wir z. B. 
fliegende Raben sehr gut sehen sollen. Ich habe darauf geachtet, 
aber nichts entdeckt. Die Vögel halten sich alle dem Boden nahe 
und nur im Gebirge über Thälern gelangen sie gelegentlich in 
grosse Höhen. Die Luftschichten über dem tiefen Lande scheinen 
schon in 2000 m Höhe ohne jeden belebten Bewohner zu sein, 
auf 6000 bis 7000 m über dem Tieflande steigt nie ein Vogel. 

4) Gegen Osten hoch über den Alpen und ebenso gegen 
Norden und Westen in unbekannter Entfernung standen am sonst 
dunkel schwarzblauen Himmel einige trübe verschwommene weiss- 



— 70 — 

liehe Streifen. Man muss sie wohl zu den Cirrho-Stratus -Wolken 
stellen. Sie bildeten glatte, nicht gescbäfelte Fedem, sie waren 
also auch nicht als Niveaux eines Windrichtungswechsels zu deuten. 
Unsere Fahrt brachte uns nicht in Verbindung mit diesen oberen 
Wolken. Der Himmel senkrecht über uns war auf der ganzen 
Länge unserer Fahrt wolkenfrei. Niemals traf uns ein Schatten, 
• selbst nicht eine Lichtschwächung durch einen Cin-hus. Wie hoch 
jene Cirrho-Stratus-Wolken waren, ob höher als die Kulmination 
unserer Fahrt oder nicht, konnten wir nicht beurteilen. 

Während dem Anstieg des Ballons über dem Thal der Liceme 
gegen die Diablerets hinauf fiel der Schatten des Ballons mehrere Male, 
so 11 Uhr 27 Minuten und 11 Uhr 30 Minuten, aber leider immer 
nur auf km'ze Augenblicke, auf die blendenden Ballwolken, es ent- 
stand das Phänomen des Nebelbildes :^) der Schatten des Ballons 
war umgeben von leuchtenden Farbenringen, deren Mittelpunkt der 
Schatten des Auges des Beobachters ist. Nur einen Moment kamen 
wir dem Nebel so nahe, dass jene überraschende perspektivische 
Vertiefung des Schattens im Nebel zur Geltung gelangte. Ich sah 
diesmal stets nur die innem Farbenringe, die dreifach dicht aneinander 
sich eng anschmiegten. Den meist farbenstärkeren grösseren Bing 
habe ich aus dem Ballon niemals gesehen, ohne Zweifel nur des- 
halb nicht, weil die einzelnen Nebelballen, auf welche dieser 
Schatten fiel, dazu zu klein waren. Die sichtbaren innem Binge 
waren ziemlich stark farbig ; rot, gelb, grün, blau waren deutlich 
zu erkennen. Nach meinen sofort niedergeschriebenen Notizen 
hatten diese inneren drei Ringe die. umgekehrte Farbenreihenfolge 
wie der Begenbogen und wie der dem Begenbogen völlig analog 
entstehende äussere grosse Farbenring der Nebelbilder, nämlich 
von innen nach aussen: rot, gelb, grün, blau; rot, gelb, grün. 



I) Es dürfte angesichts der in vielen Büchern nicht nnr nnvoU- 
kommenen, sondern vielfach ganz falschen Darstellungen über das Phänomen 
des Nebelhildes am Platze sein, bei dieser Gelegenheit auf meinen bezüglichen 
Aufsatz hinzuweisen: Alb. Heim, „Über Nebelbilder,'' Jahrbuch des Schweiz. 
Alpen-Club, Bd. XIV, 1879. 



— 71 — 

blaii; rot, gelb, grün, blau. Frühere Beobachter (Bouguet, Kämtz etc.) 
und ich selbst (Jahrbuch des Schweiz. Alpenclub, Bd. XVI, 1881), 
sowie Prof. Dr. E. Bosshard (Jahrbuch des Schweiz. Alpenclub, 
Bd. XXIV) berichten, dass wir rot aussen, grünlich bis violett 
innen gesehen hätten. Sollte ich mich beim Niederschreiben im 
Ballon gein-t haben? Die Farbenreihenfolge der inneren Ringe ist 
jedenfalls noch durch weitere Beobachtungen zu prüfen. Als wir 
erst gegen Abend über die zusammenhängenden Nebelmeerflächen 
kamen, da stand die Sonne schon zu tief, so dass unser Schatten 
nicht mehr in genügend steilem Winkel auf die Nebelfläche fiel. 
Einzig unmittelbar vor dem Eintritt in das Nebelmeer beim Ab- 
stieg erschien noch für einen kurzen Augenblick ein Nebelbild mit 
ganz blassen Lichtringen. Die Versuche, die Nebelbilder zu photo- 
graphieren, sind leider missglückt. 

Der Ballonschatten war auch auf anderm Grund als weissem 
Nebel merkwürdig. Wenn wir nur 2000 bis 3000 m über dem Boden 
standen, sahen wir ihn durch Wiesen und Wälder und über Seen 
ziehen. Er erschien stets verschwommen umrandet und nicht nur 
dunkler als die Umgebung, sondern auffallend deutlich orangebraun. 
Wenn er durch die Wälder ging, sah er oft wie ein goldbronzener 
Tropfen oder Flecken aus. Die braungelbe Eigenfarbe des Ballons 
kann daran nicht Schuld sein, denn der Ballonschatten auf der 
weissen Wolke war rein neutralgrau. Der Ballon ist auch viel zu 
undurchsichtig, um im Schatten Eigenfarbe zur Geltung zu bringen, 
und ich habe einmal, da ich nicht mitfuhr, deutlich sehen können, 
dass, von einem anderen Standpunkte aus betrachtet, der Ballon- 
schatten grade so bläulich ist, wie jeder andere Schatten in der 
Landschaft. Aber nur der eigene Schatten auf der Erde unten 
sieht aus Ballonhöhe gelbbraun aus, die Schatten anderer Gegen- 
stände erscheinen auch mehr blau als die besonnten Stellen. Wenn 
wir vom Ballon aus den eigenen Schatten betrachten, so fällt unsere 
ganze Blicklinie Mos in beschattete Luft und zwischen uns und 
unserm Schatten liegt gar keine beleuchtete und somit keine durch 
Beleuchtung blau reflektierende, einen blauen Schleier bildende 



— 72 — 

Luft. Blicken wir dagegen vom Ballon aus seitlicher neben 
unsern Schatten, so liegt zwischen dem dort gesehenen Bodenstück 
und unserm Auge eine Schicht beleuchtete Luft, die wegen ihrer 
Beleuchtung als blauer Schleier, als , blaue Ferne'* wirkt. Die be- 
sonnten Stellen erhalten für unser Auge überdies das durchfallende 
Sonoenlicht, welches das Blau etwas neutralisiert, die schattigen 
Stellen erscheinen um so tiefer kobaltblau. Der Ballonschatten 
vom Ballon gesehen erscheint bräunlich, das heisst dunkel und 
orangegelb dazu, weil er für unser Auge gewissermassen ein Loch 
in dem sonst den ganzen Erdboden bedeckenden blauen Schleier 
darstellt. Die Kontrastfarbe für das fehlende Blau ist orange. 
Die gleichen Erscheinungen habe ich übrigens schon oft von Berg- 
gipfeln beobachtet.^) Der Kern des eigenen Schattens erscheint 
mit einer leichten dunkelgelben oder braunen Abtönung, die Schatten 
nebenliegender Bergzacken hingegen sind kobaltblau. Wenn ich 
aber nur auf dem Erdboden stehend die Farbe des Schattens 
meines eigenen Kopfes mit der Farbe eines andern Schattens ver- 
glich, konnte ich keine Differenz finden; offenbar ist eben die Luft- 
schicht zwischen meinem Auge und dem beschatteten Boden zu 
wenig mächtig, um schon farbgebend zu wirken. Das aber ist 
immer deutlich: der Schatten, in welchem wir selbst stehen, sieht 
für uns nicht bläulich aus, eher bräunlich, der Schatten aber, den 
wir durch beleuchtete Luft von ferne sehen, erscheint blau. Je 
höher der Ballon steht, je kleiner sein Schatten erscheint, desto 
deutlicher wird dessen gelbliche Abtönung. Allein dies geht nur 
bis zu einer gewissen Grenze, denn die Sonne ist kein Punkt. Bei 
sehr gi'osser Höhe des Ballons wird von der Erde gesehen der 
Ballon kleiner als die Sonnenscheibe, so dass gar kein voller Kem- 
schatten mehr die Erde trifft. Dann sieht man vom Ballon aus 
den eigenen Schatten nicht mehr. Ich habe den Schatten der 
Wega bei 4000 m Erhebung über dem Boden nie mehr finden 
können. 



*) Verglichen ferner: F. A. Forel, „l'ombre du Ghamossaire**. Echo 
des Alpes, de Geneve. 1885, Nr. 4. 



— 73 — 

In Höhen von über 5000 m war die bleiche Färbung unserer 
nächsten Umgebung, das heisst des Luftschiffes und seiner Passa- 
giere sehr auffallend. Die gi-ellen Sonnenstrahlen gössen kein 
warmfarbiges Gold, sondern weisses Licht über uns aus. Die 
Schatten waren düster schwarz. Die Gesichter erschienen dadurch 
faltig gealtert. Ich beachtete die ungewöhnliche Dunkelheit der 
Schatten jedesmal, wenn ich in der schattigen Tiefe der Gondel 
etwas zu suchen oder zu hantieren hatte. Dennoch litten wir nicht 
durch Blendung. Die grössere Differenz von Licht und Schatten 
hier oben ist eine notwendige Folge der Zunahme der direkten 
Strahlung und der gleichzeitigen Abnahme des diffus in der At- 
mosphäre reflektierten Himraelslichtes. Auf Bergen ist sie schon 
von 3000 m Meerhöhe an deutlich bemerkbar, hier im Ballon war 
sie noch viel auffallender. 

Bei einem raschen Blick über das Land zu unseren Füssen 
und dann an den Horizont hinaus empfand das Auge da eine vor- 
herrschend bläulich -violette, dort eine hellgelbe Tönung; die 
blau-violette Färbung der Landschaft unter uns war erst bei Höhen 
über 5000 m deutlich. Sie rührt bekanntlich davon her, dass für 
unser Auge, wenn es ausserhalb des gi-össeren Teiles der irdischen 
Atmosphäre steht, das durch die Atmosphäre durchgefallene und 
das von ihr reflektierte Licht sich wieder mischt. Allein die 
Mischung ergiebt nicht weiss, sondern es ist beim Durchgang der 
Lichtstrahlen durch die Luft etwas gelb absorbiert worden, wodmxh 
in der annähernd weissen Mischung das Violett etwas herausklingt. 
So muss ja die Erde vom Monde gesehen blass- violett erscheinen. 
Ich muss aber gestehen, dass ich diese violette Tönung diesmal 
bei der Wegafahrt, trotz der grösseren Höhe und dem hellen 
Sonnenschein, weniger deutlich gesehen habe, als bei einer frühern 
Ballonfahrt aus 3300 m und nicht stärker, als von hohen Berg- 
gipfeln. Wahrscheinlich schwächte der feine Dunst der unteren 
Luftschichten die Erscheinung ab. Ich hatte sogar etwelche Zweifel, 
ob diesmal die violette Tönung vielleicht nur Kontrastwirkung 
gegen den gelb glänzenden Horizont war. 



— 74 — 

Wenn man von freiem hohem Aussichtspunkt Schneeberge 
sieht, welche über 100 km entfernt liegen, so erscheinen sie 
deutlich gelblich. In diesem Falle wh*ken die weissen Flächen als 
Lichtquellen hinter dicker Atmosphärenschicht und die Atmosphäre, 
die im durchfallenden Licht gelbrot wirkt (im reflektierten blau) 
ist für unser Auge wie eine gelbe Glasscheibe vor dem fernen 
Schneeberge. Diese gleiche gelbe Absorptions-Färbung entfernter, 
leuchtender Flächen machte sich vom Ballon aus nicht nur an den 
Schneeflächen der Berge vom Glärnisch bis in die Walliseralpen 
schwach bemerkbar, viel auflallender war ein völliges Leuchten der 
fernen an sich blendend weissen Nebelflächen fast rings um den 
Horizont herum in glänzend metallisch hellgelber Färbung. Es 
war nicht etwa Abendgelb oder Abendi'ot an Wolkenstreifen. Es 
war Mittagszeit und hoher Sonnenstand. Je höher wir standen, desto 
auffallender und breiter wurde der gelbe Horizontring. Das Nebelmeer 
unter uns, das in geringerer Entfernung schneeweiss war, erschien 
gegen den Horizont hin in unabsehbarer Entfernung ganz aUmälich 
immer deutlicher gelb und verschwomm am Horizont in blendend 
gelben ebenen Streifen. Von SW über West, Nord bis Osten hinaus 
war an keiner Stelle ein fester Horizont zu sehen, vielmehr umgab 
gelb leuchtendes Nebelmeer fast wie ein spiegelnder Metalliing 
alles was wir von der Erde sahen bis zum Anschluss an die wolkig 
besetzte Alpenwand. Dass im Nebelmeerhorizonte die Oelbßlrbung 
stärker war als an den Alpen, ist der weiteren Luftlinie dorthin 
und der tieferen dichteren darüber lageiiiden Atmosphärenschicht 
zuzuschreiben. 

Einen fesselnden Gegensatz zum gelben unabsehbaren Nebel- 
horizontring bildeten die Seen. In unaussprechlich reinem duftendem 
Blau lag tief unten, wie versenkt, der herrliche Leman. Ich er- 
innere mich nicht, jemals die Seenfarbe so rein und schön saphirblau 
oder Hauynblau gesehen zu haben. Schon aus der Entfernung, da 
wir 11 Uhr 30 Minuten den See noch gar nicht direkt sahen, er- 
schien in seiner Richtung jenseits unter den Diablerets ein Lnft- 
kessel voll tiefer Blaufärbung. Da war es eine Mischung von 



— 75 — 

Preussischblau und Kobaltblau. Auch der Neuenburgersee hatte 
eine prachtvolle, aber merklich grünlichere Farbe. Den Lac de 
Joux sahen wir gegen die Sonne, so dass er mehr nur Himmels- 
farbe stahlgrau spiegelte, nicht Eigenfarbe zur Geltung brachte. 

Oft blickte ich neben der über uns schwebenden Ballonkugel 
möglichst steil hinauf an den Himmel. Er sah sehr düster, fast 
schwarz aus. Gegen den Zenit hin war nur noch wenig blau zu 
sehen. Mich erinnerte die Farbe an diejenige des schwarzen 
Meeres. Die Luft ist es ja, die das Himmelsblau giebt, sie ist 
ein blauer Schleier vor dem an sich nicht leuchtenden Hiramels- 
raume und wir hatten bei 6000 m den weitaus grössten Teil Luft 
nun nicht mehr über, sondern unter uns. Das schwarze Himmels- 
gewölbe stand über uns, die himmelblaue Lichttönung mit einem 
Stich ins Violette unter uns. Auf Bergen von 2000 bis 3000 m 
Meerhöhe habe ich immer noch das Himmelsblau bewundert. Bei 
6000 m trat aber die Bläuung schon so sehr zurück, dass der 
Himmel keinen lachenden freundlichen, nicht einmal mehr einen 
erhabenen, sondern eher einen unangenehm düsteren Eindruck 
machte und gar nicht mehr den Bhck auf sich fesselte. 

Sterne konnten wir aber trotz der geringen Kraft des blauen 
Schleiers über ims nicht sehen — da mag die Blendung mitge- 
wirkt haben. Durch ein langes Kartonrohr hätte man vielleicht 
am Tage Sterne sehen können. Dies war nicht vorbereitet. 

Das „Himmelsblau** trat mir wieder in seiner unver- 
wüstlichen Nuance so recht deutlich vor die Augen und bestärkte 
mich wiederum in alten Anschauungen, so abweichend dieselben 
von den Theorien der Physiker sein mögen. Es ist eine im 
Farbton — also wohl in der Wellenlänge — unveränderliche 
Tönung. Ob wir es nui* schwach vor dunkelm Himmelsraum als das 
Schwarzblau des Höhenhimmels sehen, ob wir, im Tiefland stehend, 
es vom herrlichen leuchtenden Blau im Zenit verfolgen bis zum 
Weissblau und Weiss des Horizontes, ob wir es sehen als blaue 
Tönung ferner Berge, feiner Schatten im Erdschatten nach Sonnen- 
untergang oder wie sonst noch, es ist stets ein und dieselbe 



— 76 — 

Farbe, nur verschieden nach Mischung mit weiss oder schwarz, 
oder mit andern Farben, aber an sich bleibt es eine unveränder- 
liche Komponente, die in ihrer Eigenfarbe niemals schwankt. 
Das auf Landschaftsfarben geübte Auge findet sie immer wieder 
in ihrer unabänderlichen Treue heraus. Sie wird wirksamer wo 
dichte und mächtige Luftschichten zur Geltung gelangen, sie wird 
schwächer wo dünnere Luftmassen vor uns liegen, sie kann mit 
Abendrot zu violett, mit Abendgelb zu grün sich mischen, aber 
sie selbst ändert ihre Wellenlänge nicht. Nicht das Eümmelsblau 
ist himmelsviolet oder himmelsgrün geworden, es ist himmelblau 
geblieben und war mit Absoi-ptionsfarben gemischt. Gleich daneben, 
sobald die Erscheinung sich verschiebt, schält es sich wieder als 
die unveränderliche Komponente heraus, während die andern wechsel- 
voll auftreten. Ob die Luft bloss 107o oder 957o Feuchtigkeit 
habe, das wirkliche Himmelblau ist ganz das Gleiche. Ob wir es 
im Winde von staubiger Wüste, ob wir über dem Ozean, ob wir 
aus dem Ballon beobachten — wir finden immer ein gleiches 
Himmelblau, das stets dii-ekt proportional der Luftmasse und der 
Intensität der auffallenden Beleuchtung zum Vorschein kommt und 
überall das gleiche ist. Wohl kann es an Stärke wechseln und 
sich mit enorm verschiedenen andern Farben kombinieren oder 
durch trübe Medien mehr oder weniger gedeckt werden, aber das 
farbengeübte Auge findet es stets als ein altbekannter Faktor im 
Landschaftsbilde heraus. Es zieht sich durch alles hindurch, in 
der Wirkung sehr verschieden, in der Sache sehr unveränderlich, 
etwa erinnernd an eine bestimmte mathematisch-physikalische Grösse, 
die in einer Menge verschiedener Formeln immer wieder enthalten 
ist. Wer viel nach der Natur gemalt hat, wird das am deut- 
lichsten fühlen und bei den Farbmischungen erfahren haben. 

Und nun sollte dieses Himmelsblau auf Nebelbläschen, auf 
feinsten Fremdkörperchen etc. beruhen, wie die verschiedenen 
Theorien der Physiker lauten. Unmöglich, sagt mir mein Farben- 
sinn und meine Farbenbeobachtung! Dann könnte niemals 
das Himmelsblau eine so konstante Farbenkomponente 



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sein. Dann musste es je nach Feuchtigkeitsgehalt, Staubgehalt, 
Grösse der Premdkörperchen etc. in der Parbentönung, in der 
Wellenlänge wechseln, es müsste selbst schwanken von Purpur zu 
blaugrün. Und wenn es gar bloss subjektiv wäre, wie auch schon 
behauptet worden ist, dann könnte es sich erst recht im Land- 
schaftsbilde nicht so verhalten, wie es der Pall ist, dann wäre z. B. 
der Übergang zum dunkeln Blau bei Erhebung in höhere Luft- 
schichten, die Veränderung der Schattenfarbe mit der Höhe, etc. unbe- 
greiflich. Vielmehr scheint mir der Schluss aus den Beobachtungen 
über das Himmelsblau im Landschaftsbilde vollständig unumstösslich 
zu sein: Das Himmelsblau muss der Atmosphäre als 
solcher selbst angehören. Nur wenn die optisch reine Atmo- 
sphäre sein Träger ist, können die Wirkungen so werden, wie wir 
sie im Landschaftsbilde beobachten. 

Absorptionsfarben, wie z. B. die Farbe des Wassers, erscheinen 
ähnlich im auffallenden wie im durchfallenden Lichte. Die Luft 
erscheint in dicken Schichten im auffallenden Lichte himmelblau, 
im durchfallenden dagegen orangegelb und die beiden Farben sind 
nicht genau komplementär. Mir scheint, wir sind gezwungen, eine 
dii'ekte Reflexion himmelblauer Strahlen durch die Moleküle der Luft 
anzunehmen. Wir kennen ja in der Fluorescenz Erscheinungen 
dieser Art. Ist denn nicht das Himmelsblau eine Fluorescenz- 
erscheinung? Diese Annahme einzig scheint mir mit keiner mir 
bekannten Farberscheinung der Atmosphäre im Widerspruche zu 
sein. An Flüssigkeiten, z. B. Petroleum und durchsichtigen festen 
Körpern kennen wir ja ganz Ähnliches. Wenn wir andere Gase in 
solch dicken Schichten wie die Luft beobachten könnten, würden 
vielleicht noch viele davon Fluorescenz beobachten lassen. Alle 
charakteristischen Erscheinungen der Fluorescenz sind vorhanden: 
Im durchfallenden Lichte ist die staubfreie Atmosphäre klar und 
durchsichtig (Sehen von Mond und Sternen bei Nacht). Sie gibt 
dann nur etwas Absorptionsorange. Bei starker Beleuchtung aber 
zeigt sie vor relativ dunklem Hintergrund diffuses Selbstleuchten in 
blauer Eigenfarbe, und erscheint dabei dann als optisch trüber 



— 78 — 

Schleier, die Sterne am Tage verdeckend. Wäre der blaue ScMeier 
nach Art trüber Medien durch Fremdkörper bedingt, so müsste die 
Trübung auch im rein dm'chfallenden Lichte bemerkbar sein; sie 
kommt aber in der Atmosphäre nur beim diffus reflektierten Lichte, 
nicht beim durchfallenden zur Erscheinung. 

Gewiss wird ein Anderer mit gründlicheren physikalisch- 
optischen Kenntnissen die Frage beurteilen, aber mir scheint, dass 
das, was uns ein geübter Fai'benblick lehrt, auch in der Theorie 
der Himmelsfarbe seine Berücksichtigung verdient. 

Immer und immer tritt uns der stolze Anblick wieder vor 
die Seele, da wir mit einem Male Leman und Neuenburgersee, 
Alpen und Jura, schweizerisches Mittelland und ein grosses Stück 
von Frankreich, umgeben von dem weissgelben Wolkenkranze, 
überschauen konnten, schwebend still und hoch über der Erde, 
besti'ahlt von weissem Sonnenschein, überwölbt von einem schwarzen 
Himmel. 

6. Nach dem Abstieg. 

Bald liefen in Menge die Bewohner des Bauerndorfes Riviäre 
herbei. Den beiden Herren PfaiTern stellten wir uns sofort vor. 
Der eine derselben, Herr Abb^ J. Missler, cur6 de Boussenois, 
der vortrefflich deutsch sprach, nahm ein grosses Interesse an 
unserer Fahrt. Wir erfuhren, dass wir beim Dorfe Riviöre, Canton 
Prauthoy, Arrondissement Langre, Departement Haute-Mame, fast 
auf der Grenze gegen das Departement Cöte d'Or gelandet waren. 
Der eine der Herren Pfarrer rief uns aus den herzulaufenden einen 
Bewohner von Vaux heraus, der sich bereit erklärte, die Depeschen, 
die ich sofort schrieb, wo möglich noch vor Bureauschluss nach 
dem 7 km entfernten Vaux zu bringen. Von Vaux mussten sie 
mit Bahnzug durch einen Angestellten nach Prautlioy gebracht 
und erst dort konnten sie aufgegeben werden. Dann ginge 
ans Auspacken der Gondel, Demontieren und Einpacken des 
Ballons. Die Arbeit war nicht gering und beim schwachen Latemen- 
schein zum Teil schwierig. Die Bauern von Bivi^re halfen tapfer 



— 79 — 

und ausdauernd mit. Endlich, es war unterdessen dunkle Nacht 
geworden, wurde hinter dem Wagen, der die schweren Lasten 
fährte, ein Gänsemarsch derjenigen organisiert, welche je einen 
der sorgfältig zu befördernden Gegenstände, wobei die Apparate 
die Hauptrolle spielten, in der Hand trugen. Die Signalraketen, 
die ganze bergtouristische Ausrüstung, welche wir für den Fall des 
Hängenbleibens an einem hohen Grate mitgenommen hatten, die 
Samariterausrüstung, Axt und Säge, um uns aus Bäumen zu lösen, 
Papierschnitzel zum Erkennen des Unterwindes und noch manche 
andere Vorsichtsmassregel, die wir getroffen hatten, war nicht be- 
nutzt worden. Im Gasthaus Eiviere fand sich ein Zimmerchen, in 
welchem wir alle unsere Sachen bis zum folgenden Tage in Ver- 
wahrung bringen konnten. Allein Kaum zum Übernachten war für 
uns vier vom Himmel gefallene Gäste nicht vorhanden. Also nach 
Vaux! Die beiden Betten des „Grand Hotel de la Gare" in Vaux 
waren von Geschäftsreisenden besetzt. Ein Nachtzug nach Prauthoy 
Hess nicht lange auf sich warten. Nachts IV /i Uhr klopften wir 
am Hotel in Prauthoy an. Wir wurden sehr freundlich empfangen, 
gut bewirtet und endlich etwa 1 Uhr konnten wir uns zu Bette 
legen. Am folgenden Morgen requirierten wir Kisten zum Ver- 
packen und hatten uns vor dem Gemeindepräsidenten über unsere 
Herkunft auszuweisen. Meine drei Gefährten fuhren mit dem Ver- 
packungsmaterial nach Riviere zurück, während ich dem Telegraphen- 
bureau Prauthoy schwere Arbeit verursachte. Nach 2 Uhr verliessen 
wir den Ort und erreichten nachts spät Basel. Es gereicht uns zur 
Freude, besonders hervorzuheben, dass in Frankreich die Land- 
bevölkerung wie ihre Priester, Telegraphenbeamten, Geraeindevor- 
stände. Bahnhofangestellte etc. etc. alle uns mit der grössten Be- 
reitwilligkeit und Dienstfertigkeit unterstützten, so dass wir denen, 
die uns empfiengen, ähnlich wie denen, welche wir in Sitten zu- 
rückgelassen haben, das beste Andenken bewahren werden. 



In Sitten war nach dem Aufstieg, wie mir die Telegraphistin 
Fräulein J. C^sar berichtet, das Telegraphenbm-eau den ganzen 



— 80 — 

Tag belagert von vielen Personen, welche Nachrichten über den 
Weg des Ballons zu erhalten hoiften. Um Mittagszeit traf dort 
eine Depesche aus Montreux ein, welche meldete, dass die Wega 
über die Diablerets gekommen sei und gegen Nordwest gehe. Um 
zwei Uhr kam Bericht aus Tverdon, der Ballon gehe gegen Ste. 
Croix, um drei Uhr, dass er hinter dem Mont Suchet gegen Frank- 
reich verschwunden sei. Dann waren keine Nachrichten mehr er- 
hältlich. Gegen Abend steigerte sich die Nachfrage am Tele- 
graphenbureau von Sitten zur angsterfüllten Ungeduld. Erst nach 
10 Uhr kam die Depesche aus Prauthoy in Sitten an. Dieselbe 
wurde sofort dem Herrn Stadtpräsidenten übermittelt und auf 
dessen Anordnung hallte gegen 11 nachts der Kanonendonner durch 
das Thal, um den Bewohnern von Sitten und Umgebung unsere 
glückliche Landung zu melden. In Zürich zurück fanden wir eine 
Glückwunschdepesche des Präsidenten der Munizipalität Namens 
der Stadt Sitten. 

In unserem Beobachtungsprogi*amme lag die Aufnahme einer 
möglichst grossen Zahl von Photographien aus der Höhe. Dieser 
Programmpunkt fand keine vollständig befriedigende Lösung. Es 
zeigten sich allerlei Schwierigkeiten. Unsere photographische Aus- 
rüstung hatte in 5 Wechsel- Apparaten von Herrn Optiker E. Suter 
in Basel bestanden, wovon 4 von ihm uns gütigst geliehen worden 
waren. Jeder Apparat war mit je 20 Lumiöre-Platt^n montiert 
worden. Herr Suter hatte nach seinen eigenen Versuchen bei Ge- 
legenheit einer Ballonfahrt die Expositionszeit und die Blenden fix 
gestellt, Herr Prof. Dr. Barbieri hatte uns noch eingehender 
instruiert und die Entwicklung der Platten freundlichst über- 
nommen. Ausserdem brachte Herr Dr. Biedermann noch einen 
Kodackapparat mit Films geladen mit. Die Aufnahmen mit den 
Suter'schen Apparaten während der Fahrt besorgte ausschliesslich 
Spelterini. 

Die mitgenommenen Apparate erwiesen sich gut, die Platten 
aber unrein, voll kleiner Pünktchen. Sodann wurden alle diejenigen 
Bilder ganz unscharf, welche nach fallendem Ballongang exponiert 



— 81 — 

worden waren, weil beim Übergang aus kälterer, trockener in 
wärmere, feuchtere Luft die Objektive sieb vorweg immer wieder 
mit Feuchtigkeit beschlugen. Eine weitere Schwierigkeit ergab 
sich daraus, dass für gewisse Fälle die Stellung von Blenden und 
Exposition nicht passte, für den Durchschnitt war sie ganz gut. 
Sodann hatten wir bei einer Fahrgeschwindigkeit von 15 m und 
mehr per Sekunde und aus freier Hand zu exponieren. Der ganze 
physische Zustand des Menschen tritt als Faktor mit ein. Durch 
den Aufschlag beim Abstieg sind 8 Platten zerschlagen. Im 
ganzen hat Spelteiini mit den Suter'schen Apparaten 40 brauch- 
bare Aufnahmen erhalten, Dr. Biedermann deren circa 30, die leider 
aber meistens unscharf ausgefallen sind. Wir reproduzieren hier 
einige der interessantesten Bilder von Spelterinis Auihahmen. 

Der photographische Apparat von Herrn Cailletet, welcher 
automatisch in regelmässigen Zeitabständen senkrecht nach unten 
photographiert, war uns, zur Benutzung montiert von Herrn L. 
Gaumont et Co., ßue St.-Roch 57 in Paris, gutigst zur Verfügung 
gestellt worden. Indessen der Umstand, dass derselbe für uusern 
Zweck die Zeitintervalle zu kurz gestellt hatte und zu wenig lange 
funktionieren konnte einerseits, besonders aber die Überfüllung des 
Fahrkorbes mit unentbehrlichen Gegenständen andererseits, die alles 
Hantieren erschwerte, zwang uns diesmal auf die Mitwirkung des 
ziemlich grossen und schweren Apparatenkastens zu verzichten. 



G 



IV. 

Die meteorologischen Ergebnisse der wissenschaftlichen 
Fahrt des Ballons „Wega" am 3. Oktober 1898 

von 
Dr. Jul. Maurer. 

A. Die instrnmentelle AnsrAstang der „Wega^S Prttfang and 

Leistungsfähigkeit der Instramente. 

Als mir im Juli letzten Jahres durch Kapitän Spelterini und 
Prof. Heim, Präsident der fui* die Ausführung einer wissenschaftlichen 
Ballonfahrt über die Schweizeralpen bestellten vorberatenden Kom- 
mission, die ehrende Einladung zu Teil wurde, persönlich als Be- 
obachter an der Fahrt teilzunehmen, die erforderlichen Vorbe- 
reitungen zu leiten, sowie auch späterhin für die Verarbeitung der 
Resultate Sorge zu tragen, war über das allgemeine Beobachtungs- 
progi'amm und die instrumentelle meteorologische Ausrüstung der 
„Wega*^ in verschiedenen Beratungen der Fachkommission bereits 
eingehend verhandelt worden. Überdies hatten die Herren Heim 
und Spelterini zum Zwecke weiterer Informationen die Ende März 
vorigen Jahres in Strassburg tagende erste Konferenz der inter- 
nationalen aeronautischen Kommission besucht, deren vielseitiges 
Progi'amm namentlich auch die rationelle Ausrüstung bemannter 
Ballons behandelte, die für das anzuschaflfende meteorologische In- 
ventar der „Wega** -Fahrt vorbildlich und selbstverständlich den 
Beschlüssen der Konferenz auch bestmöglich angepasst wm*de. 
Für die Vorbereitungen und das Arrangement des reichhaltigen 
Observatoriums der „ Wega** erhielt ich im einzelnen völlig freie Hand; 
das letztere sollte gestatten die wichtigeren meteorologischen Ele- 



— 83 — 

mente (Luftdruck, Temperatur und Feuchtigkeit) sowohl direkt ab- 
zulesen, wie auch mittelst besonderer Begistrierinstrumente während 
der Fahrt dauernd festzuhalten. 

Für die Luftdruckbeobachtungen waren zwei registrierende 
Aneroide vorgesehen, ferner ein Quecksilberbarometer von R. Fuess- 
Berlin, das bei vertikaler Buhelage des Ballons abgelesen, zur Eon- 
trolle bezw. Verifikation der Aneroidkorrektionen diente und von 
der Direktion der Schweizerischen Meteorologischen Centralanstalt 
dem Unternehmen bereitwillig zur Verfügung gestellt wurde; zur 
einwurfsfreien Vornahme von Temperaturmessungen war mir über- 
dies von unserem meteorologischen Institut das bekannte Assmann^sche 
Aspirationsthermometer überlassen worden, das vorschriftsmässig 
an einem ausserhalb des Ballonkorbes hinausragenden Gestänge 
aufgehängt, mittels Fenirohr von der Gondel aus abgelesen wurde. 
Behufs Registrierung der Lufttemperatur hatte sodann Herr Staatsrat 
Dr. V. Wild die Güte, für uns bei Mechaniker Fuess in Berlin 
einen neuen, auf dem Aspirationsprinzip beruhenden Thermographen 
zu bestellen, bei dessen Konstruktion bereits früher gemachte Er- 
fahrungen an ähnlichen für die Berliner Uraniasäulen und zu Fes- 
selballon-Experimenten verwendeten Apparaten, mitbenutzt wurden. 
Im registrierenden Teil entspricht das Insti'ument fast ganz dem 
bekannten Richard-Thermographen, unterscheidet sich jedoch von 
ihm nicht unwesentlich in der Ausführung des thermometrischen 
Recipienten; die ringförmig gebogene, mit Alkohol gefüllte Bour- 
donröhre von 4 cm Durchmesser (2 cm Breite und 12 cm Länge) 
besitzt die Form eines nicht völlig geschlossenen Zylindermantels 
mit vertikal gestellter Achse, ist in zwei ebenfalls zylindrische, 
zum Hochglanz polierte vernickelte Messingrohre mit Zugkamin 
eingeschlossen und wird an ihi*en beidseitigen Oberflächen — unter 
bekannter Anwendung des Luftstrahlgebläses mit komprimiertem 
Sauerstoff — von einem kräftigen und kontinuierlich aspirierten 
Luftstrom umspült. Das auf 120 Atmosphären komprimierte 
Sauerstofifgas wurde in besondern von dem Sauerstoff- und Was- 
serstoffwerk Luzern bezogenen Stahlflaschen (von ca. 1000 1 Inhalt) 



— 84 — 

mitgeführt, welche Druekreduktionsventile besassen und gestatteten 
den verdichteten Sauerstoff unter niedriger Pression bis zu 2 At- 
mosphären ausströmen zu lassen. Diese Versuchsanordnung hat 
sich auch füi- den kontinuierlichen Betrieb des gewöhnlichen Ass- 
mann'schen Aspirationsthermometers (mit Laufwerk-Aspirator) auf 
verschiedenen Fahrten des Münchener Luftschiflffahrtsvereins, nach 
den Erfahrungen des Herrn Direktor Erk, vorzüglich bewährt, da 
die Aspiration sehr gleichmässig wird, was bei der Ventilation 
dui'ch ührwerksbetrieb nie so vollständig erreicht werden kann. 

Zur Ermittlung der Luftfeuchtigkeit wurde an Stelle des 
Ventilationspsychrometers, das namentlich bei tieferen Temperaturen 
dem Beobachter gewisse Schwierigkeiten bereitet, die Angaben des 
Haarhygrometers verwendet, das in zwei Exemplaren — einem von 
Herrn Direktor Dr. Wild freundlichst überlassenen Richard'schen 
Haarhygi'ographen und einem Konti-ollhygrometer von Usteri- 
Reinacher — für die Hochfahrt der „Wega* zur Verfügung stand. 
Thermogi'aph und Hygrograph waren auf Querstäben in einem ge- 
räumigen, oben und unten völlig offenen, mit weissem Tuch aus- 
geschlagenen Weidenkorb plaziert, der ausserhalb der Gondel 
mittels einer Zugvorrichtung bequem und nach Belieben hochge- 
zogen werden konnte. 

Von den beiden mitgeführten registrierenden Aneroidbaro- 
raetern war das eine Instrument von Hen-n Th. Usteri-Eeinacher, 
dem Chef der renommierten vormaligen Goldschmid'schen Präzisions- 
werkstätte, speziell für unsere „Wega" -Fahrt neu konstruiert und 
zm- Verfügung gestellt worden; was die Ausführung im einzelnen 
und die Leistungsfähigkeit im besondern anbetrifft, zeigte es sich 
dem andern, als Reserve benutzten Richard^schen Modell entschieden 
überlegen, nur machte sich anfangs bei der Erreichung grösserer 
Höhen eine etwas merkliche Retardation der Uhr fühlbar, die aber 
durch genaue Zeitmarken leicht berücksichtigt und unschädlich 
gemacht werden konnte. 

Der neue Usteri'sche Ballonbarograph registriert (bei sechs- 
oder zwölfstündigem Tromraelumgang) auf einem Diagramm von 



— 85 — 

80 mm Breite und 290 mm Länge eine Druckvariation von rund 
400 mm, besitzt demnach eine etwas stärkere, aber durchaus nicht 
unbequeme Grösse (Dimensionen 2272 X 15 X 12 cm, Zeitabszisse 
1 h = 24 mm bei zwölfstündiger Rotation, Ordinate 10 mm Baro- 
meterstand = 2 mm im Diagranmi). Das Buchsensystem, dessen 
unteres Ende auf einer massiven, messingenen Grundplatte aufliegt, 
ist in ganz gleicher Weise, wie bei der einfachen Büchse des Ni- 
vellierbarometers derselben Firma, durch eine starke Feder gespannt; 
das freie, verlängerte Ende dieser Spannfeder trägt rechts eine 
glasharte, verstellbare Cirkularschneide, die nahe dem Drehpunkt 
auf den ausbalancierten Registrierhebel wirkt, welcher an seinem 
längern (linken) Ende als Index die Kapillarfeder mit Tinte zur 
Aufzeichnung der Luftdruckkurve trägt. Ein zuverlässiges Uhrwerk 
mit Ankerechappement und siebentägiger Gangdauer besorgt die 
gleichförmige Drehung der Trommel, die me beim Richard'schen 
Modell abhebbar ist und durch leichtes Drehen nach links oder 
rechts auf die richtige Zeit eingestellt werden kann. 

Die genauere Untersuchung und Vergleichung dieses Registrier- 
aneroids mit dem Quecksilberbarometer wurde im Atelier des 
Herrn Usteri-Reinacher vorgenommen und hiebei — um einen 
möglichst zusammenhängenden, den wirklichen Thatbeständen thun- 
lichst entsprechenden Verlauf der Standkorrektionen zu erhalten — 
das Registrierblatt nach der Falut abermals auf die Trommel ge- 
spannt, unter dem Recipienten der Luftpumpe die vorgezeichnete 
Fahrkurve des Registrieraneroids mit Erfolg wiederholt reproduziert 
und bei den Vergleichungen, neben den korrespondierenden Ab- 
lesungen an dem mit dem Recipienten-Reservoir kommunizierenden 
Vergleichsbarometer, die fünf bei vertikaler Ruhelage des Ballons 
notierten Stände am Fuess'schen Quecksilberbarometer (tiefster 
Stand 720 mm, höchster Punkt 327 mm) mitbenutzt. Da die ver- 
schiedenen bei steigender und fallender Barographenkurve ange- 
stellten Vergleichsserien mit dem Quecksilberbarometer zur Evidenz 
zeigten, dass ein wirklich erheblicher Unterschied in den beim 
Auf- und Abstieg reproduzierten Korrektionswerten nicht besteht 



— So- 
und andererseits die einzelnen aui Aneroidbarographen abgeleseneu 
Stände, im Hinblick auf die geringe Entwicklung des Diagramms, 
die übrigens auch eine eingehendere Berücksichtigung des Tem- 
peratureinflusses nicht gestattete, kaum auf den Millimeter sicher 
sind, so durfte füglich davon Umgang genommen werden, sowohl 
für den Auf- wie für den Abstieg, gesonderte mittlere Korrektionen 
anzubringen ; es wui'den vielmehr die einzelnen Serienkurven zu 
einer Mittelreihe vereinigt, welche für das von uns benutzte 
Usteri'sche Instrument nachstehende Korrektionstafel lieferte, die 
dann auch bei Keduktion der in später folgenden Tabelle gegebenen, 
dem Barogi'aphen direkt entnommenen Luftdruckwerte ihre Ver- 
wendung fand. 



Stand 


Korrektion 


Stand 


Korrektion 


des Aneroids. 


auf 


des Aneroids. 


auf 


mm. 


Quecksilberdmck. 


mm. 


Quecksilberdruck. 


700 


-2,0 


480 


-4,0 


680 


-3,4 


460 


3,6 


660 


-4,3 


440 


— 3,3 


640 


-4,7 


420 


-3,2 


620 


— 5,0 


400 


-3,4 


600 


5,0 


390 


3,9 


580 


— 5,0 


380 


-4,6 


560 


5,0 


370 


— 5,5 


540 


— 4,8 


360 


-6,4 


520 


-4,6 


350 


-7,3 


500 


-4,3 


340 


-8,4 


480 


-4,0 


330 


— 9,5 



Es erübrigt endlich noch ein Wort mitzuteilen über die 
Leistungsfähigkeit bezw. Empfindlichkeit der für die Temperatur- 
messung bei der „Wega*-Fahrt mitgeführten Instrumente. Es ist 
eine Erfahrungsthatsache, dass alle im Ballon beobachteten Tem- 
peraturen sämtlich unter dem unvermeidlichen Zurückbleiben des 
Thermometers hinter den Änderungen der Umgebungstemperatur 
leiden; auch bei der besten Aspiration kann selbst das empfind- 
lichste Thermometer die Temperatur der Luft nicht so schnell an- 
nehmen, als der Ballon seine Höhe ändert. Ein ventiliertes Ther- 



— 87 — 

mometer, das im Ballon rasch durch verschieden temperierte 
Luftschichten geführt wird, bedarf daher strenge genommen in 
seinen Angaben immer noch einer Korrektion und die wertvollen, 
theoretischen und experimentellen Untersuchungen von Direktor 
Hergesell-Strassburg ,,über das Verhalten von Thermometern, ins- 
besondere solchen, die schnell wechselnden Temperaturen ausge- 
setzt sind* (Meteorologische Zeitschrift, XIV. Jahrgang) haben ge- 
zeigt, dass diese Korrektion in kurzer geschlossener Foim bei 

j TT 

kleinen Dimensionen des Thermometerkörpers durch a rr- aus- 
gedrückt wird; - - ist der zeitliche Differentialquotient der Tem- 
peratur (U) des Mediums, die das Thermometer entweder direkt 
durch Ablesung oder dann durch Registrierung liefert, während a 
einen passend als „Trägheitskoefficient** des Thermometers bezeichne- 
ten Proportionalitätsfaktor repräsentiert; es ist demnach die wahre 
Temperatur <p des Mediums gegeben durch 

Dieser jedem Thermometer eigentümliche Trägheitskoefficient 

M c 
a ist gleich dem Bruch ^, gebildet aus dem Wasserwert (Masse X 

spezifische Wärme) des Thermometerkörpers und dessen äusserer 
Wärmeleitfähigkeit h, berechnet für die ganze Oberfläche S. — 

Das Korrektionsglied a -^— wird um so grösser ausfallen, je steiler 

die Temperaturkurve verläuft, folglich ein Thermometer seine Auf- 
gabe um so besser erfüllen, je kleiner sein Trägheitskoefficient a 
ist. Da die zweite wichtige Grösse, welche in dem Ausdrucke des 
Trägheitskoefficienten erscheint — die bekannte äussere Wärme- 
leitfähigkeit h — in erster Linie eine Funktion der Aspiration und 
der Luftdichte ist, so gilt dasselbe von jenem Trägheitskoefficienten a 
und es ist für die Ballonmeteorologie selbstverständlich eine ausser- 
ordentlich bedeutungsvolle, wenn auch experimentell recht schwierig 
zu entscheidende Frage, wie dieser Trägheitskoefficient bei ventilierten 



- 88 — 

ThermometerD sich ändert, wenn die physikalische Konstitution 
des umgebenden aspirierenden Mediums variiert. Da die äussere 
Wärmeleitfähigkeit h mit abnehmender Luftdichte sich langsam 
verringert, so wird im selben Masse der Trägheitskoefificient des 
ventilierten Thermometerkörpers mit wachsender Höhe zunehmen, 
also die anzubringende Korrektion sich vergrössern. 

Wir wissen aber ferner, dass die mit dem Trägheitskoefifi- 
cienten unzertrennlich verbundene Grösse der äussern Wärme- 
leitungsfähigkeit nicht bloss von der Luftdichte und Ventilation, 
sondern in ziemlich beträchtlichem Masse auch von der Temperatur 
des Thermometerkörpers abhängig ist (Zunahme per l^C ungefähr 
170), dass sie ferner mit jeder Veränderung des Zustandes der 
Oberflächenschicht und dem Feuchtigkeitsgehalt der Umgebung 
augenfällig variiert. Allein schon die Abhängigkeit der äussern 
Wärmeleitfähigkeit von der Temperatur des aspirierten Thermo- 
meterkörpers kann bei erheblichen Temperaturunterschieden zwischen 
tiefern und sehr hohen Luftschichten aufiällige Variationen des 
Trägheitskoefficienten veranlassen. Dazu tritt noch der bedeutsame 
Umstand, dass bei einem ventilierten Thermometer zwischen stei- 
gender und fallender Temperatur betreffs der Erkaltungs- und Er- 
wärmungsgeschwindigkeit ein merklicher Unterschied besteht; 
letztere kann — bis zur gänzlichen Ausgleichung — zwei bis drei 
mal geringer sein als erstere, was sich auch im Verhalten des 
Trägheitskoefficienten ausgesprochen zeigt, der bei Erwärmung stets 
grösser wie bei der Erkaltung erscheint. Herr Assmann hat, soviel 
mir bekannt, bereits vor Jahren einmal auf erstem Umstand hin- 
gedeutet und den Grund davon in der Kondensation des Wasser- 
dampfes an dem Thermometerkörper und dessen Umgebung gesucht. 
Solche Kondensationsvorgänge werden aber auch an der Bourdon- 
Röhre des Registrierthermometers aufti-eten, zumal wenn letzteres 
rasch von kältern in wärmere Luftschichten übertritt, und damit 
wird zweifellos der Wert der äussern Wärmeleitfähigkeit, also auch 
der Trägheitskoefificient des thermometrischen Recipienten erheblich 
verändert. Aus all dem angeführten mag zur Genüge hervorgehen, 



— so- 
wie schwer es ist, nur einigermassen verlässliche Werte für den 
Trägheitskoefficienten bezw. die anzubringenden Temperatarkorrek- 
tionen abzuleiten, unter den so vielfach variierenden, oft kaum 
kontrollierbaren Umständen, denen das Ballonthermometer auf 
seinem weiten Zuge durch die niedem und höhern Luftschichten 
ausgesetzt ist. 

Trotz dieser ziemlich misslichen und wenig ermutigenden 
Umstände habe ich versucht, über die Empfindlichkeit (resp. Grösse 
des Trägheitskoefficienten) der bei unserer Fahrt verwendeten 
Temperaturmessinstrumente — Aspirations-Thermometer und Ther- 
mograph — wenigstens einige orientierende Bestimmungen, teil- 
weise unter Variation der Dichte des umgebenden aspirierenden 
Mediums, zu erhalten. Bei Ausführung der Versuche — wiederum 
gefördert und ermöglicht durch das liebenswürdige Entgegenkommen 
des Chefs der Präzisionswerkstätte Usteri-ßeinacher — wurde in 
erster Linie unser Assmann'sches Aspirationsthermometer bekannter 
Form vorerst auf etwa 40® C vorsichtig erwärmt und mit arre- 
tiertem Aspirationsmechanismus (auf passender Unterlage) frei 
unter einen grossen, starkwaudigen Rezipienten gebracht, welcher 
durch einen schweren Metalldeckel, in den eine dicke Spiegelglas- 
scheibe eingesetzt ist, mittels zehn Schraubenmuttern luftdicht ver- 
schlossen werden konnte; hierauf rasch die Handpumpe in Bewegung 
gesetzt und die nötige Evacuierung auf 600, 500 und 400 mm 
vorgenommen. War letztere jeweils erreicht — die Druckvariation 
konnte direkt an einem mit dem Rezipienten-Reservoir kommuni- 
zierenden Quecksilber- Vergleichsbarometer ermittelt werden — so 
löste man von aussen (mittels des an einer Stopfbüchse, innerhalb 
an der Decke des Rezipienten fixierten Hilfsarmes) die Aspirations- 
scheiben zur kräftigen Ventilationswirkung aus und beobachtete 
nun die weitere Abkühlung des aspirierten Thermometers von 5 zu 
5 Sekunden, bezw. von Viertel- zu Viertelminute. Die Temperatur 
der Umgebung am Anfang und Ende jedes Versuchs wurde im 
Reservoir selbst durch ein eingehängtes Thermometer -attachöe, 
teils zur Eontrolle durch die letzte konstaute Einstellung des 



— 90 — 

Aspirationsthermometers so genau als möglich eimittelt. Wir 

geben in nachstehendem für die verschiedenen Drucke von 728, 

600, 500 und 400 mm eine der erhaltenen Reihen wieder, mit 

Beschränkung auf die ersten 75 Sekunden der beobachteten 
Abkühlungsdauer, die im Ganzen ungefähr 5 Minuten bis zur 

konstanten Einstellung auf die Umgebungstemperatur bean- 
spruchte. 

Abkühlungsdauer in Sekunden 










15 


30 


45 


60 


75 




Druck : 
in mm 




Temperatur 


des ventilierten Thermometers in ® 


Temp. d. 
Umgeb. 


728 


f 


34,4 


27,6 


23,2 


20,7 


19,2 


18,2 


16,8 


\ 


34,2 


28,2 


24,8 


22,9 


21,9 


21,2 


20,0 


600 


1 


31,7 


27,6 


25,1 


23,6 


22,7 




21,1 


32,6 


28,3 


25,5 


23,8 


22,8 


— 


21,0 


500 


1 


34,4 


29,8 


26,4 


23,9 


22,5 


21,6 


20,1 


. 


30,0 


26,5 


24,6 


23,3 


22,4 


— 


21,0 


400 


■ 


30,5 


26,9 


24,1 


22,3 


21,0 


20,2 


19,1 


28,8 


25,6 


23,3 


21,6 


20,5 


19,9 


18,8 



Bezeichnet A die einzelne, für jede Viertelminut« oben ge- 
gebene TemperaturdifFerenz zwischen ventiliertem Thermometer und 
mittlerer Temperatur der Umgebung, so berechnet sich nach der 
Beziehung 

aus den Unterschieden der natürlichen Logarithmen, je zweier um 
eine Viertelminute auseinanderliegenden Beobachtungen, leicht ein 
Mittelwert für den auf die ganze Minute bezogenen, den genannten 
Druckwerten zugehörigen Trägheitskoefifizienten a des benutzten 
Assmann'schen Aspirations-Thermometers. Wir erhalten so für den 
Luftdruck von: 728 600 500 400 mm 

Trägheitskoeffizient a = 0,50 0,54 0,54 0,55 

Bei den Versuchen mit dem Puess'schen Aspirations-Thermo- 
graphen erwärmte man die Bourdon-Spirale vorerst im Zimmer auf 



— 91 — 

21 — 22* C, brachte dann den ganzen Apparat rasch in einen 
nebenan befindlichen kälteren Raum von ca. 9® C Temperatur, unter 
gleichzeitiger Einleitung einer möglichst kräftigen und gleich- 
massigen Aspiration, und zwar wie im Ballon, unter Anwendung des 
Injektorstrahls mit komprimiertem Sauerstoff. Die während des 
Versuchs nahe konstante Umgebungstemperatur wurde durch ein 
Aspirationsthermometer vor und nach Beendigung des erstem be- 
stimmt. Aus den verschiedenen so erhaltenen Abkühlungskurven 
des ventilierten Thermographen mögen nachfolgende zwei Reihen 
angefuhii; werden: 

Abkühlungsdauer in Sekunden 



15 30 45 60 75 90 105 120 150 

Druck: '^^^P' 

Temperatur des Aspirationsthermographen in " der 

Umgeb. 

-2q |19,1 17,4 15,8 14,5 13,6 12,6 11,9 11,3 10,9 9,2 

|18,0 15,2 13,4 12,0 11,1 10,6 8,8 

\ 1,54 
welche nach der oben für l/a gegebenen Beziehung mittlere Werte 
des Trägheitskoeftizienten a' — bei nahe normalem Luftdruck - 
von 1,16 bis 1,54 für unseni Aspiratiousthermographen liefern, 
d. h. das zwei- bis dreifache jenes dem ventilierten Assmann'schen 
Thermometer zugehörigen Trägheitskoeffizienten. 

Beachtet man, dass bei den raschen Höhenänderungen des 

Ballons auf unserer Fahrt der zeitliche Difterentialquotient (,-:-) 

der Temperatur pro Minute 2 bis 3 Grad eneicht, so ergibt sich 
demnach, dass für unser Aspirationsthermometer die anzubringende 

Korrektion a ^-r — selbst unter der Annahme, der Trägheits- 

at 

koeffizient variiere mit der Höhe bis zu ca. 350 mm Quecksilber- 
druck verhältnismässig nur wenig — auf einen vollen Grad und noch 



— 92 — 

mehr ansteigt, also unter Umständen auch bei der besten Ventilation, 
die Temperatur eines bestimmten Punktes der Atmosphäre noch 
um diesen Betrag unsicher wird. Für den Thermographen er- 
reichen die Korrektionen jedoch das zwei- bis dreifache des letztern 
Wertes; aus diesen Gründen und dem Umstände, dass die Unter- 
bringung des Instrumentes in dem neben der Gondel freihängenden, in 
den obern atmosphärischen Schichten stark bestrahlten Weidenkorbe 
verschiedene Beschränkungen mit sich brachte, die eine rationelle 
und einwuifsfreie Bestimmung des mit Feuchtigkeit, Temperatui*, 
Druck, etc. vai'iabeln Trägheitskoefßzienten, ebenso des Differential- 

A TT 

quotienten -r- und damit der anzubringenden Korrektionen für die 

verschiedenen Höhenlagen zum Teil unmöglich machten, haben wir 
auch von einer weitern Verwertung der Thermographenaufzeich- 
nungen an dieser Stelle abgesehen. Was auf der letztjährigen 
ersten Konferenz der internationalen aeronautischen Kommission 
besonders betont wmde, dass so wünschensweii es auch wäre, in 
bemannten Ballons eine kontinuierliche Registrieiimg der Temperatur 
zu erhalten, doch der gegenwärtige Standpunkt unserer Instrumente 
dies leider nicht gestatte, hat durch obige Erfahrungen auf unserer 
Fahrt eine neue Illustration erfahren. Noch kürzlich bemerkte 
übrigens Hr. Assmanu selbst über den (Fuess^schen) Aspirations- 
thermographen (a. a. 0.) „. . . So einfach dieser Appai'at auch scheint, 
so wenig hat er doch bisher den Erwartungen entsprochen, die 
man an ihn stellen musste, wenn es sich um die Unwirksam- 
machung starker Wärmestrahlung handelte. Die Schwierigkeit, 
einen Bourdon-ßing von einem unter 4 cm herabgehenden Durch- 
messer zu konstruieren, bedingte die Bewegung ausserordentlich 
grosser Luftmengen und damit die Verwendung sehr grosser, nur 
durch starke Federn oder Gewichte zu treibenden Aspiratoren. Für 
den Gebrauch im Luftballon, besonders bei Auffahrten unbemannter 
Begistrierballons, erwies sich die Lösung der Aufgabe auf diesem 
Wege als unausführbar, zumal in den höchsten von solchen 
Ballons zu erreichenden Luftschichten, die Sonnenstrahlongsinten- 



— 93 — 

sität eine äusserst grosse, die Luftdichte aber eine entsprechend 
geringe ist . . . .* 

In Anbetracht der erörterten, ziemlich weiten Fehlergrenzen 
darf daher, wie ja schon Finsterwalder und Sohncke gelegentlich 
hervorhoben, auf die einzelne Beobachtung im Ballon kein sehr 
hoher Wert gelegt werden; erst die Vergleichung vielfältiger Be- 
obachtungen wird zu sichern Schlussfolgerungen berechtigen, ins- 
besondere da es bei vereinzelten Angaben oft sehr schwer ist, das 
Typische von dem Zufälligen zu unterscheiden. 



B. Die Wahl des Aufstiegstages und Verbindung des Unter- 
nehmens mit den internationalen Simnltanfahrten. 






Bevor wir auf die Beobachtungsresultate des Ballons „ Wega 
und deren Diskussion im einzelnen eintreten, dürfte es zweckmässig 
sein, vorerst in kurzem Überblick, die allgemeine Witterungslage 
und die damit eng zusammenhängenden, umständlichen Verhältnisse 
zu schildern, welche die Wahl des 3. Oktober als Auffahrtstag der 
,Wega" nach jeglicher Richtung motivierten. Auf Grundlage der 
neuern Beobachtungsergebnisse isolierter Bergstationen war es zum 
vornherein klai*, dass eine reine Überquerung der Alpen in Süd- 
Nord oder Nord-Südlicher Richtung kaum möglich sein werde, 
weil anhaltende, in höhere Luftschichten hinaufreichende Südwinde 
ebenso wie dauernd kräftige Nordwinde in der Höhe so selten sind, 
dass man darauf nicht abstellen kann. Man hatte grundsätzlich 
beschlossen, den Aufstieg im ruhigeren Herbst, im Laufe des 
Monats September, vorzunehmen, da man um diese Jahreszeit nach 
vielfachen frühern Erfahrungen am ehesten eine Wetterlage er- 
warten durfte, die einen kräftigen und dauernden obem Südwest- 
wind über den Alpenkamm mit sich brachte. Unter diesen Um- 
ständen konnte als zweckmässigster Ausgangspunkt in erster Linie 
das Städtchen Sitten im Wallis in Frage kommen; von dort aus 
durfte man bei dem zu erwartenden Südwestwind am leichtesten 



— 94 — 

über die Berner-, Urner- und Glarneralpen nach dem Rheinthale 
gelangen, und selbst im ungünstigen Falle, bei Ost- bis Südost- 
wind in der Höhe, konnte noch ein Teil der südwestlichen Schweizer- 
alpenkette und das Plateau bis zum Jura überflogen werden. In 
Sitten duifte man überdies am ehesten die für eine Auffahrt un- 
entbehrlichen Hilfsmittel, Wasser, Gas, Arbeitskräfte u. s. w. zur 
Verfügung gestellt erhalten. 

Leider brachten es verschiedene Umstände mit sich, dass mit 
der Füllung der „Wega^ erst am Schlüsse des Monats, den 
26. September, begonnen werden konnte, die jedoch statt drei 
Tagen, wie man gehofft hatte, eine ganze Woche in Anspruch 
nahm. Auf diese Weise ging kostbare Zeit verloren; der Ballon, 
der schon an und für sich später, als man geglaubt hatte, in 
Sitten zur Füllung eingetroffen war, konnte einzelne zum Teil 
wundervolle Witterungssituationen mit günstigem oberem Südwest- 
wind, überhaupt die herrlichen Septembertage letzten Jahres, die 
fast ohne Unterbrechung bis zum 27. des genannten Monats ange- 
dauert hatten, nicht mehr ausnutzen. Noch während der Füllung 
trat in der Nacht vom 27./28. September ein durchgreifender 
Witterungsumschlag ein. Am Samstag, den 1. Oktober, war die 
„Wega'^ fahrbereit, so dass man im Notfalle am nächsten Morgen, 
Sonntag den 2. Oktober, die Auffahrt ausführen konnte. 

Von Seiten der internationalen aeronautischen Kommission, 
— die dem Unternehmen die weitgehendste, unermüdliche Unter- 
stützung zu Teil werden liess — waren unterdess alle Vorbe- 
reitungen getroffen worden, auf dass am Tage des schweizerischen 
Aufstieges von möglichst vielen Punkten Europas gleichzeitige 
Ballonfahrten stattfinden konnten. Das internationale Uuternehmen 
war dieses Mal — so bemerkte dessen hochverdienter Leiter und 
Förderer, Professor Dr. Hergesell — mit besonderen Schwierig- 
keiten verknüpft, da der Tag und die Stunde der Abfahrt nicht wie 
bei den früheren Unternehmungen vorher genau bestimmt war, 
sondern die letztern bei den internationalen Auffahilen sich nach 
der Ausführung des schweizerischen Unternehmens richten musste, 



— 95 — 

dessen Ausfuhrung von einer bestimmten Wetterlage abhängig ge- 
macht wurde. 

Unter diesen Umständen hatte der Präsident der inter- 
nationalen aeronautischen Kommission, Direktor Hergesell, sich 
selbst nach Sitten begeben, um persönlich an den Beratungen und 
Vorbereitungen für die daselbst bevorstehende Hochfahrt der »Wega** 
teil zu nehmen und gegebenen Falls die internationalen Teilnehmer 
so schnell wie möglich von dem Entschlüsse, den Aufstieg zu unter- 
nehmen, benachrichtigen zu können. Die internationalen Ballon- 
stationen waren am 27. September aufstiegsbereit und es ist ja 
wohl erklärlich, dass als die Auffahrt der ,Wega* sich bis zum 
3. Oktober hinauszog, eine gewisse Ungeduld bei den Teilnehmern 
Platz greifen musste. Am Sonntag den 2. Oktober nachmittags 
3 Uhr traf in Sitten von der Schweizerischen Meteorologischen 
Centralanstalt an die Teilnehmer der ^Wega" -Fahrt ein Telegramm 
ein des Wortlautes: „Barometrisches Maximum über dem Kanal 
ostwärts schreitend, unterer Wind Nordost, Kigi und Säntis leichter 
Südost; Nordschweiz vormittags neblig, mittags aufheiternd. Für 
Auffahrt nicht ungünstig, jedoch in mehr nördlicher oder nordwest- 
licher Richtung.** Am selben Abend gingen dann nach Paris, 
München, Berlin, Wien und Petersburg Telegramme ab, mit der 
Anzeige, dass die Auffahrt der Wega voraussichtlich am Montag 
früh von statten gehen werde. 

An ein längeres Zuwarten unsererseits war nicht mehr zu 
denken, zumal auch für die nächste Folgezeit die allgemeine 
Wetterlage — Hochdruckzone nordwärts der Alpen, Tiefdruck 
über dem südlichen Teile Europas — durchaus keine erheblich 
bessere Gestaltung der Windverhältnisse, mit Drehung des Ober- 
windes gegen Südwest, in Aussicht stellte. Am Montag Morgen, 
den 3. Oktober, um 8 Uhr, als dann von den schweizerischen 
Höhenstationen wiederum verhältnismässig günstige Witterungs- 
depeschen mit Aussicht auf Klarheit der Alpen und oberer Wind- 
richtung zwischen SE und S eingetroffen waren, konnte endlich 
die definitive Aufforderung an sämtliche internationale Ballon- 



— 96 — 

Stationen abgehen, die Auffahrten um 11 Uhr vormittags, dem 
Zeitpunkte, wo die „Wega** sich voraussichtlich erheben würde, 
stattfinden zu lassen. 

Jeder, dem bekannt ist, mit wie viel Schwierigkeiten und 
Reibungen die Vorbereitungen eines bemannten oder unbemannten 
Ballonaufstieges verknüpft sind, wird es als eine höchst beachtens- 
werte Leistung der internationalen aeronautischen Kommission an- 
erkennen, dass es überall gelungen ist, die vorgeschriebene Ab- 
fahrtszeit mit nur geringen ZeitdifiFerenzen einzuhalten, wiewohl die 
endgültigen Depeschen erst drei Stunden vor dem Abfahrtstermin 
aufgegeben werden konnten. 

An dem internationalen Unternehmen beteiligte sich das me- 
teorologische Observatorium zu Trappes bei Paris (Direktor Teis- 
serenc de Bort), feiner München, Wien, Berlin und Petersburg 
durch je einen bemannten Ballon, während unbemannte Ballons, 
bestimmt, grosse Höhen zu erreichen, ausserdem noch in Peters- 
burg und Sitten emporsteigen sollten. In Sitten befand sich der 
400 m^ fassende Registrierballon „Langenburg" des Strassburger 
meteorologischen Institutes, der mit der Absicht, die meteorolo- 
gischen Verhältnisse über den Alpen in noch höheren Schichten, 
als die „Wega" voraussichtlich erreichen konnte, zu erforschen, 
dorthin transportiert worden war. Der ursprüngliche Plan, den 
Registrierballon vor der „Wega** aufsteigen zu lassen, damit er 
derselben die in verschiedenen Höhen herrschenden Windrichtungen 
und damit die Wege weisen sollte, musste leider aufgegeben 
werden, da wegen eventuellen Mangels an Wasserstoff — man 
musste stets darauf bedacht sein, bei längerem Abwarten zum 
Nachfüllen der „Wega" Gas bereit zu halten — die Füllung des 
kleinen Ballons erst an dem Tage, wo die Auffahrt stattfinden 
sollte, vorgenommen werden konnte. Zudem ereignete sich am 
Auffahrtstage selbst wieder ein Unfall, der die Pumpe des Gaser- 
zeugers ausser Funktion setzte und zu dreistündiger Unterbrechung 
der Füllung zwang. Erst nach der Abfahrt der »Wega* konnte 
dieselbe fortgesetzt werden. Um 3 Uhr war der Ballon, der leider 



— 97 - 

etwas Gas verlor, noch nicht zur Hälfte voll, als der Maschinist 
die Meldung brachte, dass keine brauchbare Schwefelsäure mehr 
vorhanden sei. Prof. Hergesell beschloss unter diesen Umständen, 
den nur halb gefüllten Ballon mit Apparaten emporzusenden, ein 
Beschluss, der in gewisser Beziehung ein Wagnis zu nennen war, 
als ein heraufziehendes Gewitter mit stai'kem Wind die Abfahrt- 
manöver sehr erschwerte, aber anderseits notwendig war, wenn 
überhaupt etwas eiTeicht werden sollte. Der halbgefüllte schlappe 
Ballon wurde durch den Sturm wie ein Segel umhergeschleudert 
und verlor von der ohnehin mangelliaften Füllung noch einen be- 
trächtlichen Teil. In grösster Eile wurde noch der Korb mit den 
Instrumenten befestigt. Der während eines stai'ken Windstosses 
in Freiheit gesetzte „Langenbm-g" stürmte mit dem Ballastsack 
gegen den hohen Zaun, der den Abfahrtsplatz umgab, wodurch 
derselbe abriss, streifte mit dem Instrumentenkorb durch eine in 
der Nähe befindliche Platanenallee, stieg dann rapid in die Höhe 
und verschwand nach ungefähr 10 Minuten als vollkommene Kugel 
in dem Wolkenmeer. Diese ungünstigen Vorfölle bei der Abfahi't 
haben leider verhindert, dass der „Langenburg** die ihm zuge- 
schriebene Aufgabe völlig erfüllen konnte. Die Federn des Thermo- 
graphen wurden durch den Stoss so verbogen, dass sie ihre Kurve 
nicht schreiben konnten. Allein der Barograph funktionierte und 
nach dessen Angaben erreichte der Registrierballon trotz seines 
mangelhaften Zustandes noch eine Höhe von 11,000 m; gegen 
6 Uhr nachmittags landete er bei Apples in der Nähe von Morges 
am Genfersee. 

C. Meteorologische Beobachtungen und Resultate des Ballons 

„Wega". 

In nachstehender Tabelle sind zunächst alle direkten, von 
mir am Aspirationsthermometer gewonnenen Beobachtungen mit 
den gleichzeitigen am Üsteri-Barographen gemachten, auf Queck- 
silberdruck reduzierten Ablesungen samt den, dmxh das Haarhy- 

7 



— 98 — 



Meteorologische Beobachtungen des Ballons ,Wega 



Zeit 


Luft- 


Luftdruck 


Seehöhe 


Rel. Feucht. 


Dampf- 


M. Ei. Z. 


temperatur 


red. 


Meter 


Haarh. 


druck 




C® 


mm 




proc. 


mm 


stunde Min. 












10.30 


16,0 


720 


512 


50 


6,75 


10.53 


') 




Aufstieg! 






11.00 


9,0 


615 


1830 


53 


4,58 


11.07 


5,2 


575 


2400 


47 


3,13 


11.15 


3,1 


540 


2912 


50 


2,88 


11.22 


^ 0,8 


522 


3185 


48 


2,35 


11.23 


— 0,3 


510 


3372 


45 


2,03 


11.28 


- 1,4 


495 


3610 


50 


2,08 


11.31 


»)- 3,8 


475 


3937 


45 


1,57 


11.33 


- 4,8 


465 


4105 


40 


1,30 


11.36 


6,0 


452 


4327 


36 


1,07 


11.39 
11.41 


*)- 5,2 

')- 5,7 


455 


4277 


31 


0,98 


11.44 


- 7,3 


445 


4450 


40 


1,08 


11.48 


«)- 7,4 


430 


4716 


38 


1,02 


11.52 


- 7,2 


425 


4808 


35 


0,95 


11.55 


— 9,0 


418 


4937 


30 


0,71 


11.59 


-11,4 


402 


5238 


25 


0,49 


12.04 


')- 8,6 


425 


4810 


30 


0,73 


12.05 


- 9,4 


415 


4995 


32 


0,65 


12.09 


1 —13,2 


393 


5410 



^) Abfahrt von der Place d'armes in Sion; ganz schwacher NE (Thalföhn), 
über den Höhen ziehende Ca, wenige Ci, sonst tiefes Himmelsblan. 

') Unter drehender Bewegung des Ballons 11 Uhr 20 Minuten über 
Conthey. 

') Prächtige Nebelbilder auf streifenden Ca.-Nebel an den Gehängen 
hinter Erdes. 

*) Über Derborance. 

^) 11 Uhr 41 Minuten über den Diablerets (stark bewölkt); Glacier de 
Zanfleuron rechts unter uns. 

') Penninische Alpen zwischen alto-Cu. sichtbar, dagegen Alpen von 
Freiburgy Waadt und Chablais wolkenlos; 11 Uhr 50 Minuten über Ormond. 

^) Pilatus, Säntis, Rigi schauen aus dem Nebelmeer, obere Grenze 
desselben in der Ost- und Centralschweiz 1400— 1500 m; 12 Uhr 03 Minuten 
ca. 0,5 km östlich der Rochers de Naye. 



— 99 — 



Zeit 


Luft- 


Luftdruck 


Seehöhe 


Rel. Feucht. 


Dampf- 


M« £j* Z. 


temperatur 


red. 


Meter 


Haarh. 


druck 




C« 


mm 




proc. 


mm 


stunde Min. 












12.14 


— 10,2 


410 


5087 


23 


0,44 


12.17 


— 13,0 


390 


5470 


12.21 


»)— 16,2 


370 


5869 


23 


0,31 


12.24 


— 16,6 








7 


12.27 


— 15,6 






23 


0,33 


12.30 


— 16,6 


371 


5846 


24 


0,32 


12.35 


-14,4 










12.40 


— 14,6 






24 


0,36 


12.44 


«)- 15,4 


384 


5589 


24 


0,35 


12.48 


»^— 16,0 


375 


5768 


22 


0,30 


12.55 


— 10,0 


414 


5012 


30 


0,66 


12.59 


— 8,6 


438 


4570 


40 


0,98 


1.04 


— 6,0 






44 


1,31 


1.06 


'')- 4,6 


470 


4020 


45 


1,48 


1. 10 


— 5,2 


460 


4190 


43 


1,36 


1.13 


— 6,6 


446 


4432 


39 


1,11 


1. 17 


»«)- 9,4 






34 


0,78 


1. 19 


— 12,0 


395 


5372 


32 


0,60 


1.23 


20,0 


347 


6348 


30 


0,30 


1.32 








25 


(0,27) 


1.43 


— 18,0 


359 


6096 






1.52 
2.00 


20,8 
18) 19,0 


343 
354 


6434 
6199 


27 


0,28 


2.08 


— 20,3 


346 


6369 






2. 17 


— 17,8 






29 


0,35 


2.21 


'')- 13,5 


388 


5509 


32 


0,54 



') 12 Uhr 22 Minuten über Remaufens bei Chltel-St. Denis; ganzer Neuen - 
burger- zugleich mit Lemansee sichtbar; Bewölkung 2, gegen E, N u. W ci. S. 

*) Bei Oron-la-ville, von Lausanne gegen Westen über Grenfersee 
lückenhaftes Nebelmeer. 

^°) Glärnisch, Urirotstock, Titlis und Berneralpen hell, Hochalpen als 
zusammenhängender Wall vom Säntis bis Savoyen. 

**) 1 Chr 06 Minuten ca. 2 km westlich von Yverdon. 

*•) Über dem Juragebirge, unscheinbar wie Kanzeln; 1 Uhr 27 Minuten 
Verriferes, 1 Uhr 30 Minuten Schweizergrenze passiert. 

^') Beginne zeitweise mit Sauerstoffatmung; bei schwachem Pulsschlag 
Gefühl von ausserordentlicher Abspannung, hie und da Herzklopfen, Kopfschmerz. 

**) Am Horizont gegen W, SW, N und NE Cu. in einem Niveau; 
2 Uhr 25 Minuten über Besangen; Bewölkung 2, ci. S. und einzelne ci. 






— 100 — 



Zeit 


Luft- 


Luftdruck 


Seehöhe 


Rel. Feucht. 


Dampf- 


M. E. Z. 


temperatur 


red. 


Meter 


Haarh. 


druck 




C^ 


mm 




proc. 


mm 


stunde Min. 












2.24 


- 9,1 


414 


5015 


40 


0,94 


2.27 








45 


(1,34) 


2.30 


- 2,0 


488 


3724 


52 


2,07 


2.38 


2,5 


535 


2986 


56 


3,09 


2.41 


>^) 7,0 


585 


2256 


52 


3,93 


2.51 


5,0 


566 


2528 


46 


3,03 


2.55 


3,4 






44 


2,59 


3.00 


0,4 


515 


3293 


42 


1,99 


3.04 


- 2,0 


490 


3691 


42 


1,68 


3. 10 


- 4,4 


470 


4020 


40 


1,34 


3. 19 


8,0 


430 


4718 


37 


0,95 


3.25 








35 


0,71 


3.30 


— 14,0 


381 


5648 


32 


0,52 


3.34 


— 19,0 


350 


6287 


31 


0,34 


3.37 


20,9 


340 


6501 


30 


0,28 


3.42 


htfchtter Punkt 


327 


6800 


30 




3.45 


— 20,0 






30 


0,29 


3.50 


— 17,0 


365 


5973 


35 


0,45 


3.55 








37 


(0,59) 


4.01 


11,0 


403 


5217 


39 


0,79 


4.06 


- 8,4 


419 


4918 


42 


1,04 


4.10 


- 4,5 


465 


4104 


46 


1,53 


4.15 


— 0,3 


512 


3341 


52 


2,35 


4.23 


5,4 


572 


2442 


75 


5,07 


4.35 
4.40 


1«) 14,5| 
15,0f 


735 


350 


80 


10,00 



Landung nm 4 Uhr 35 Minuten nachmittags bei dem Dörfchen Riviere 
auf der Grenze der Departements Cöte d'Or und Haute Marne. — Mittlere 
Richtung N 45« W. 

Dauer der Fahrt 5 Stunden 42 Minuten. — Länge der Bahn : 229 km. — 
Durchschnittliche Fluggeschwindigkeit: 11,2 m per Sekunde. 



") Thal des Oignon, in ca. 1400 m darüber feine Cu.-Nebelschicht 
(Luftwogen?), darunter dunstig, oben hell; 3 ühr 40 Minuten über Öray-sur- 
Saöne, 3 Uhr 45 Minuten rascher Absturz. 

^*) 4 Uhr 35 Minuten Landung nach kurzer Schleppfahrt bei zeitweise 
frischem NE bis E; leicht bewölkt (3). 



Beobachtungs 






H. E. Zeit. 


Barom. aaf 


Temp* 


Stande. 


0<> red. 


C. 


Vit 


597,1 


4 


9»/« 


597,7 


5 


iiV« 


598,2 


6 


IV« 


598,1 


7 


37« 


598,2 


6 


5'/« 


598,2 


6 


7V« 


598,8 


6 


87« 


599,0 


5 



77« 




566,8 

567,7 
567,8 
567,9 
568,4 



4 

5 
5 
4 



\ 



'X 



- 101 — 
Wetterkarte vom 3. Oktober 1898, vormittaga. 



Rftih - riufrU/itunp der ßcjlo, 



— 102 — 

grometer vielfach kontrollierten, entsprechenden Angaben der relativen 
Feuchtigkeit vom ßichard-Hygi'ographen zusammengestellt. Die 
Berechnung des Dampfdruckes bei Temperaturen unter 0® geschah 
wie üblich durch Benutzung der von Juhlin in seinen neuen Spann- 
kraftstabellen veröffentlichten Werte. Bei der Höhenbestimmung 
ist die ausführlichere, bequeme barometrische Tafel von Hann mit 
genäherter Berücksichtigung des Wasserdampfgehaltes der Luft 
verwendet worden; dabei wurde wegen des Temperaturfaktors 
möglichst von Stufe zu Stufe vorwärts gegangen, d. h. die Höhe 
der Luftsäule von einer Beobachtungsschicht zur andern berechnet, 
unter Zugrundelegung der meteorologischen Elemente für das Re- 
duktionsniveau von 2500 m, soweit sie für den Tag der Auffahrt 
durch die Beobachtungen unserer Höhenstationen vom Säntis im 
äussersten Nordosten des Landes bis hinaus gegen den Grossen 
St. Bernhard, Kochers de Naye und Chaumont im Jura hinlänglich 
festgelegt waren. 

Für den 3. Oktober, ein Tag mit ausgesprochen herbstlichem 
Gepräge, zeigen die allgemeinen Wetterkarten (vrgl. Fig. 17 a u. 17 b) 
ein Hochdruckgebiet von 770—772 mm, das sich zungenfönnig 
von den britischen Inseb über die Nordsee, Holland, Nord- und 
Mitteldeutschland bis gegen Polen erstreckt; von da nimmt der 
Druck, sowohl nach Nordosten als Südosten, ab gegen Gebiete über 
denen Depressionen lagern. Entwirft man eine Detailkarte, so 
lässt diese erkennen, dass über dem westlichen und südwestlichen 
Frankreich eine Ausbuchtung der Isobaren besteht, die sich als 
Furche verhältnismässig geringeren Drucks (761 — 765 mm) gegen 
die südwestliche Schweiz nach einem über dem nördlichen Alpen- 
vorland auftretenden sekundären Maximalkem (mit 768 mm) 
erstreckt. Auch im oberen Niveau von 2500 m weist die Luft- 
druckverteilung ein leichtes, von Osten gegen den Westen und 
Südwesten des Landes und der anstossenden französischen Gebiets- 
teile bestehendes Gefälle auf; die Eammhöhe unserer Schweizer- 
alpen, längs ihrer ganzen von NE gegen SW ca. 230 km langen 
Erstreckung, verläuft in 2500 m Meereshöhe zwischen den Isobaren 



— 103 — 

von 568 und 567 mm. Dieser Druckverteilung entspricht ganz 
die am Fahrtage in den Höhen herrschende, vorwiegend südöst- 
liche Luftströmung, während in den nördlichen Niederungen, am 
vorgelagerten Alpenwall, letztere meist als Nordost zum Vorschein 
trat. Die allgemeine Situation erscheint verhältnismässig recht 
ruhig und änderte sich bezüglich der Luftdruckverteilung während 
der Fahrzeit (11 Uhr morgens bis 5 Uhr abends) ausserordentlich 
wenig; von 10 Uhr vormittags bis gegen den spätem Nachmittag 
zeigen auch die sämtlichen Hochstationen kaum irgend eine merk- 
liche Standänderung am Barometer. Eine mehr pder weniger 
zusammenhängende Nebeldecke mit oberer Grenze in 1500—1600 m, 
unter der am Vormittag eine ziemlich gleichmässige Temperatur- 
verteilung (12—14® C) herrschte, zieht sich von den süddeutschen 
Stationen über Bhein und Bodensee bis an unsere westliche und 
südwestliche Landesgi'enze*), wo sie gegen Mittag zwischen Qenfer- 
und Neuenburgersee verschwindet und den darüber hinziehenden 
Insassen der «Wega** ein entzückend schönes herbstliches Land- 
schaftsbild entrollt. 

Auch im obern Wallis, ebenso wie in den südlichen Alpen- 
thälern dieses Kantons war der Himmel völlig bedeckt, am Grossen 
St. BeiTihard, 40 km vom Aufstiegsort entfernt, fiel Schnee unter 
Tags und abends; von der Südseite der Alpen meldeten die, unter 
cyclonalem Einfluss stehenden Stationen durchwegs trübe, reg- 
nerische Witterung. Dagegen heiterte der Himmel von Siders an, 
das Bhonethal abwärts, im Laufe des Vormittags vollständig aus, 
und als die ,Wega" 10 Uhr 53 Minuten von der Place d'armes 
in Sitten ihre Hochfahrt unternahm, wölbte sich im lichten 
Sonnenschein ein tadelloses Himmelsblau über der gasgefollten 
Biesenkugel. 

Bei dem verhältnismässig normalen herbstlichen Charakter 
des Tages waren überraschende Ergebnisse betreffs der vertikalen 
Verteilung der meteorologischen Elemente in den untern atmo- 



^) und die anstosseaden französischen Departemente. 



— 104 — 

sphärischen Schichten nicht zu erwarten; auch zeigte die „Wega** 
anfänglich so starken Auftrieb, dass wir jene schon binnen wenigen 
Minuten durchflogen. Überdies war ich während der allerersten 
Zeit des Aufstieges mit der letzten zweckmässigen Anordnung des 
fast überreichen meteorologischen Instrumentariums und dem un- 
gewohnten, wahrhaft überwältigenden Ausblick auf die reizvolle, 
wunderbare Umgebung so vollauf beschäftigt, dass die Momente 
für Beobachtungen ausserordentlich knapp erschienen. Anfänglich 
wurde der Ballon von der leichten nordöstlichen Thalföhnströmung 
erfasst und etwas abwärts gegen Conthey getrieben, um dann, un- 
gefähr in der Höhe von 2400 m erstere zu verlassen und eine 
fast rein nordwestliche Richtung einzuschlagen, die ihn bald über 
die teilweise in Wolken gehüllte Diableretsgruppe gegen die 
Waadtländer- und Freiburger Alpen, über die herbstlich besonnten 
Gefilde zwischen Leman- und Neuchäteler See nach dem Jura und 
französischem Qebiet entführte. 

Ich habe die in der obenstehenden Tabelle gegebenen Tem- 
peraturbeobachtungen und Höhen, soweit sie während der ersten 
Phase unserer Fahrt bis nahe zur Maximalhöhe, über dem Gebiete 
des untern Rhonethals, der Waadtländer- imd Freiburger Alpen 
samt dem anstossenden Plateau bis zum Juragebirge innerhalb 
einer Zeit erhalten worden sind, wo ich mich noch einer unge- 
trübten, ziemlich normalen LeistungsMigkeit erfreuen durfte, 
graphisch aufgetragen (Ordinate 100 m = 2 mm, Abscisse 2^ = 
10 mm), dann zusammengefasst nach Höhenstufen von je 250 m 
und damit nachstehendes Bild der Temperaturverteilung, samt 
den entsprechenden mittleren Werten von Dunstdruck und 
relativer Feuchtigkeit bis zur Höhe von 6500 m erhalten; 
es geschieht hier zum ersten Mal, dass wir aus 
dem eigentlichen Alpengebiet und aus so be- 
trächtlichen Höhen der freien Atmosphäre Kennt- 
nis von dem meteorologischen Zustand der letztern 
erhalten. 



105 — 



Höhe in rp . Abnahme pro 100 

Meter Temperatur ^ 



m 



500— 750 


15,3 


0,52 


750 1000 


14,0 


0,60 


1000—1250 


12,6 


0,48 


1250 1500 


11,3 


0,56 


1500—1750 


10,1 


0,44 


1750 2000 


8,8 


0,52 


2000—2250 


7,3 


0,72 


2250—2500 


5,6 


0,64 


2500 2750 


4,2 


0,44 


2750 3000 


3,1 


0,48 


3000—3250 


1,5 


0,80 


3250—3500 


-0,2 


0,60 


3500—3750 


-1,6 


0,48 


3750—4000 


-3,2 


0,84 


4000—4250 


-4,9 


0,44 


4250—4500 


-6,2 


0,64 


4500-4750 


-7,7 


0,56 


4750 5000 


—8,9 


0,40 


5000—5250 


10,4 


0,80 


5250—5500 


— 12,3 


0,76 


5500 5750 


—14,5 


0,90 


5750—6000 


— 16,7 


0,68 


6000 6250 


—18,5 


0,76 


6250—6500 


—20,5 
Gesamtni 


0,84) 




dttel 0,62 



0,56 



0,68 



0,79 



Rel. 


Dampf- 


eucht. 


druck 


7o 


mm 


51 


6,59 


52 


5,64 


53 


4,88 


48 


3,66 


47 


2,89 


50 


2,85 


47 


2,39 


45 


2,05 


49 


2,01 


45 


1,65 


39 


1,26 


38 


1,11 


36 


0,94 


30 


0,72 


23 


0,49 


32 


0,59 



23 



28 



0,33 
0,29 



Die Abnahme der Temperatur mit wachsender Höhe auf je 
100 m Erhebung in der freien Atmosphäre zeigt hier im allge- 
meinen einen ziemlich unregelmässigen Gang; doch leuchtet vor 
allem das prägnante Resultat auch da wieder heraus, was durch 
die zahlreichen deutschen wissenschaftlichen Ballonfahrten, fernab 
vom Alpengebiet, schon wiederholt erwiesen worden ist, dass mit 
der niedrigeren Temperatur der höhern Atmosphärenschichten eine 
stärkere Abnahme der Lufttemperatur mit zunehmender Erhebung 
eintritt, als man fi-üher nach Glaisher^s Fahrten allgemein ange- 
nommen hatte. Bei unserer Hochfahrt der „Wega* zeigt sich 
diese Erscheinung namentlich von 5000 m ab, wo der mittlere 



— 106 — 

vertikale Temperaturgradient zwischen 5000 und 6500 m per 
100 m Erhebung 0,8® C beträgt, während als mittlere Temperatur- 
abnahme für die ganze Luftschicht zwischen 500 und 6500 m per 
100 m, 0,62® C resultiert. Vergleichsweise möge hier angeführt 
werden, dass für die Temperaturabnahme mit der Höhe 

Glaisher im Mittel seiner Fahrten erhielt: 

zwischen 0—2440 m 0,68® 
2440—4270 „ 0,46® 
4270—6100 „ 0,34® 
6100—7925 „ 0,18® 

Gesamtmittel 0,44® 

Dagegen Berson im „Humboldt* und „Phönix*'*) per 
100 m: 

am 11. Mai 1894 4. Dezember 1894 

zwischen 0—2345 m 0,48®] 1450—4250 m 0,55®\ ^^o 

2345—4525 „ 0,57®l 0,59® 4250—6050 „ 0,81®1 ' 

4525—6165 „ 0,67®) 6050—8050 „ 0,63®\ o 

6165—7754 „ 0,75® 8050—9150 „ 0,91®| "'''* 

0,65® 0,71® 

14. März 1893 19. Oktober 1893 

0—2440 m 0,48® 0—2465 m 0,45® 

2440—4315 ^ 0,60® 2465—4300 „ 0,61® 

4315—6100 „ 0,83® 4300—6100 „ 0,58® 

6. September 1894 

0—2000 m 0,74® 
2000—4250 „ 0,58® 
4250—6100 „ 0,81® 

Der starke Gegensatz springt sofort in die Augen und zeigt 
wie vieles wir der verbesserten Art der Temperaturmessung im 



') Vergl. R. Assmann „ Übersicht über deutsche wissenschaftl. Ballon- 
fahrten*" (Meteorol. Zeitschrift, XII. Jahrg.). 



— 107 — 

Ballon, durch die EinfuhruDg des ventilierten Thermometers, zu 
verdanken haben. 

Irgendwelche hervorstechende Eigentümlichkeiten oder be- 
sondere Modifikationen betreffs der vertikalen Temperaturverteilung 
bei der Annäherung an — beziehungsweise dem Fluge über die 
vergletscherten Diablerets und die nächsten anschliessenden Gebirgs- 
gruppen, die wir in einer Höhenlage von 4000—5000 m passierten, 
lassen sich mit Sicherheit aus den oben angeführten Zahlengruppen 
kaum erweisen. Wir ersehen nur, dass in der Schichte zwischen 
3000 und 3500 m, auf welcher Höhe uns der Südoststrom rasch 
über die ansteigenden, zum Teil stark bewölkten imd verschneiten 
Gehänge der Diablerets führte, eine gegenüber den unmittelbar darunter 
liegenden, dem wäi-mem Rhonethal angehörigen Luftschichten, aufiällig 
grössere Temperaturabnahme von 0,6 — 0,8^ eintritt, die sich auch 
späterhin gegen 4000 m, unmittelbar über den Diablerets, mit 0,84^ 
nochmals wiederholt. Im übrigen ist es ja klar, dass bei der raschen 
Strömungsgeschwindigkeit der Luftmengen von 20 bis 25 m per 
Sekunde, die wii- in nahe 1000 m über den Diableretskämmen an- 
trafen, von voniherein nicht daran zu denken war, irgend welchen 
typischen Einfluss des Gebirgsmassivs auf die Temperaturverhält- 
nisse der darüber lagernden hohem, stark bewegten Luftschichten 
der freien Atmosphäre rein hervortreten zu sehen, zumal wir 
auch hart am Grenzgebiet einer cyclonalen Zone mit gestörten 
Witterungsverhältnissen dahinzogen, die es bei den Resultaten 
einer einzigen Fahrt recht schwierig machen, das rein Zufällige 
von dem Besondern zu unterscheiden ; ein Tag mit norma- 
leren, mehr anticyclonalen Verhältnissen über unserem Alpenlande 
hätte in dieser Richtung wahrscheinlich noch reichere Ausbeute 
gebracht. 

Die Temperaturschicht von Null Grad, die sogen. „ Nulliso- 
therme •*, passierte die „Wega** wiederholt auf ihrer Fahrt in mitt- 
lerer Höhenlage von 3300 — 3400 m. Auch weiter draussen gegen 
die Ebene, nachdem wir den Jura bereits überflogen hatten, scheint 
jene nicht wesentlich höher gelegen zu haben, da um 3 Uhr nach- 



— 108 — 

mittags, über dem Tli&le des Oignon, das Aspiratiouathermometer 
bei 3290 m Meereshöhe auf -(- 0,4" C zeigte. Diese verhältnis- 
mässig tiefere Lage der Nulttemperaturschicht ist durchaus uicht 
auf einen erkältenden Einäuss des Älpenmassivs, sondern lediglich 
auf die allgemein herrschende Luftdruckverteilung über dem süd- 
lichen und südwestliehen Oebiete des Continents zurückzuführen. Die 
Flugbahn der «Wega" befand sich auf dem Grenzgebiet In nllehster 
Nähe einer cyclonal gestöi'ten Zone (am Südabhang der Alpen), 
welche ihre kältere Luft oben direkt über unser südwestliches Ge- 
biet abströmen liess; schon die Auffahrt des Münchener Ballons 
.Akademie", welcher gleichfalls gegen Nordwesten trieb, und die 
am selben Yormitt^ draussen im nördlichen Alpenvorland, also 
näher gegen den warmem barometrischen Maximalkörper, stattfand, 
ergab eine merklich höhere Nullisotherme in 3G50 m, d. h. ein 
Ansteigen der Isothermen gegen den höher temperierten Luftkörper 
der über Norddeutschland It^ernden Hochdruckzone, innerhalb 
welcher die Berliner LuftschifFer ßerson und Süiing am nämlichen 
Tage die Nulltemperaturschiclit in 3600—3800 m gefunden hatten. 
Am tiefsten m^ sie in unserem Lande über den südlichen das 
Wallis abschliessenden Alpenkämmen gestanden haben, jedenfalls 
unter 3000 m, wie der Schneefall und die Temperaturverhältnisse 
auf dem Grossen St. Bernhard (2478 m) am Tage des Aufstieges 
der ,Wega" erweisen.') 



') Von beaonderem Werte ui dieaer Stelle wälen vergleichende D»t«i 
des ObBervatorinnia Tsllot *af dem Montblftoc (in 4400 m) gewesen: leider 
waren solche nictit erhiiltlit^h. indem Herr Direktor J. Vallot uns freandlichst 
mitteilt: ,. . . . II m'est mslhenreDsement impossible de voiib satisfaire. Hes 
fonds ne permettent paa de maintenir nn obeervatenr k Vtnnie an Mont 
Blatte. Lonqne c'eit potsihle, je bin maroher mes iastramenti euregistrenn 
an M, tniii rarament apris le 1 octobre. Dn reste, i cette ^poqne, leg 
t d1iork«n-ie rileiit d'habitttde. Par raison d'^onoinie necesaaire, 
[oe dn globe, qni penvent itre 
n i. 6tre snbventionit^ je farai 
holtat) terait hien itttfressaitte, 
nts an iü, je ferai mon possible 



— 109 - 

Sehr bemerkenswert ist, wie unsere Tabelle und besonders 
das Registrierdiagi'amm des Hygrogi'aphen zeigt, die gi'osse Trocken- 
heit, welche die „Wega^ in den obern atmosphärischen Schichten 
zwischen 5000 und 6500 m antraf. Nach den Angaben des Haar- 
hygrometers beträgt die relative Feuchtigkeit dort nur 20 bis 30 
Prozent; offenbar hatten sich die unter cyclonalem Einfluss stehenden, 
direkt an der Südseite der Alpen aufgestiegenen, über das Gebiet 
des Monterosa- Massivs herwehenden Luftmassen ihres Wasser- 
dampfgehaltes teilweise entledigt und fluteten oben nun relativ 
trocken und kälter gegen das Plateau zwischen Jura und Alpen 
hinaus. Anlässlich des raschen und kontinuierlichen Abstieges der 
„Wega* wurde auch eine beträchtliche Zunahme der Luft-Feuch- 
tigkeit beobachtet, die vor der Landung beim Durchdringen einer 
dünnen, in ca. 1400 m Höhe liegenden Nebelschichte, nahe den 
Sättigungspunkt erreichte und mit einer raschen Temperatur- 
abnahme von ca. 2® innerhalb letzterer verbunden war. Auch 
diese Thatsache der rapiden Feuchtigkeitszunahme gegen die 
niedrigeren atmosphärischen Schichten lässt deutlich erkennen, dass 
wir die beobachtete Trockenheit der höhern atmosphärischen 
Kegionen nicht durch einen von oben herabsteigenden Luftstrom 
erklären dürfen; denn dieser hätte gegenteils Kompressionswärme 
und damit verbundene Trockenheit in den tiefern Luftschichten 
erzeugt. 

Die Flugbahn der „Wega**, die auch die Windverteilung be- 
stimmt, ist von unserem Falu-kollegen, Professor Heim, während 
der Fahrt möglichst genau festgestellt worden durch Anvisieren 
einer grossen Zahl von Punkten, die senkrecht überflogen wurden; 
dagegen liess im französischen Gebiete, nach dem Passieren des 
Jura, die genaue Orientierung wegen Mangel an Karten etwas zu 
wünschen übrig. Die Fahrtlichtung war fast stetig gegen Nordwest 
gerichtet und betreffend der Verteilung der Windgeschwindigkeit 
ergaben sich folgende Ergebnisse: 



— 110 — 





Zeit 






Höhenlage 


Windgeschw. 


Std. 


Min. Std. 


Min. 




Meter 


(Mtr. per Sekunde) 


10. 


55 11. 


00 


Vorm. 


1800 2000 


3,3 




00—11. 


15 




2000—2900 


2,4—3,3 




15 11. 


30 




2900—3800 


3,3—6,5 




30—11. 


35 




4000 


8,8 




37—11. 


38 




4200 


14,6 




39—11. 


42 




4300 


21,7 25,8 




45—11. 


50 




4700 


14,0 




50—12. 


00 


Mitt. 


4900 


16,7 18,0 


12. 


00—12. 


30 




4900—5800 


13,0—14,0 


12. 


30— 1. 


00 




5800 4100 


8,2 10,0 


1. 


00 2. 


30 




4100—6400 


14,8—15,8 


2. 


30 3. 


30 




6400—2200 


9,0—7,4 


3. 


45— 4. 


30 


Nachm. 


6800— 350 


11,9—8,9 



* Abstieg 

Aas dieser kleinen Tabelle sticht vor allem die rapide Zu- 
nahme der Windgeschwindigkeit mit der Annäherung an und dem 
Fluge über das Gebirge heraus; noch bis zu 2900 m, ungefähr 
2400 m über der mittleren Thalsohle des Wallis, entspricht jene 
Geschwindigkeit nahe der vormittäglichen Stärke der untern nord- 
östlichen Thalströmimg (Siders: 10 Uhr 45 Minuten NEi, 11 Uhr 
30 Minuten NEo-i, 12 Uhr 15 Minuten NE 1-2), doch mit dem 
Höhersteigen über die Gipfel der vorgelagerten Berggruppen 
wächst sie ausserordentlich rasch und zeigt im freien Strome, beim 
Überfliegen der Diablerets in 4300 m Höhe über Meer und mit der 
starken Verengung des Stromquerschnitts, ein Maximum von nahe 
26 m pro Sekunde. Beim weitern Höhersteigen der »Wega** 
nimmt die Sb'ömungsgeschwindigkeit der Luft gegen das Plateau 
zwischen Alpen und Jura wieder ab, um selbst in den höchsten 
erreichten Höhen (bis zu 6800 m) kaum mehr die Hälfte jenes 
Maximums zu erreichen, ja weiter draussen im französischen 
Gebiet sinkt jene Fluggeschwindigkeit des Ballons, innerhalb der 
ganzen Schichte von 6400 — 2200 m, wieder auf ein sekundäres 
Minimum herunter. Doch mehr lässt sich aus den gefundenen 
Zahlen nicht wohl schliessen; wie die stündlichen Aufzeichnungen 



— 111 - 

des Anemometers auf dem Säntisobservatorium am selben Tage 
ergeben : 

Säntis: 

vormittags 7—8 8—9 9—10 10—11 11—12 ühr 

Windrichtong SE SE SE SSE SSE 

Wmdge8chwind.Mtr.pr.Sek. 6,1 6,4 4,4 6,9 9,4 

nachmittags 12—1 1—2 2—3 3—4 4—5 5—6 6—7 7—8 Uhr 

Windrichtung SSE SSE SSE SSE SSE SSE SE SE 
Windgeschwind. 
Mtr. pr. Sek. 6,7 6,1 13,1 6,7 0,8 0,3 1,9 6,4 

dürften die oben gegen Mittag gefundenen grossen Zahlen 
der Windstärke wahrscheinlich durch den täglichen Gang des 
letzteren Elementes, wie man ihn far die Berggipfel schon lange 
kennt, etwas beeinflusst sein. Wenigstens zeigt die Windge- 
schwindigkeit in der freien Höhe des Säntis gerade um die Mit- 
tagszeit eine merkliche sprungweise Zunahme und auch nachmittags 
ein starkes An- und Abschwellen, das zwischen 2 und 3 ühr mit 
13 m per Sekunde ein Maximum erreicht. Noch bis zu der Höhe von 
10,000 — 11,000 m finden wir die obere südöstliche Luftströmimg 
bestehen, wie der am Nachmittag gleichen Tages in Sitten auf- 
gestiegene und abends bei Apples (in der Nähe von Morges) ge- 
landete Registrierballon „Hohenlohe Langenburg* deutlich be- 
kundete. 

So bemerkenswert diese ausserordentliche Konstanz der 
Windrichtung innerhalb eines derartig beträchtlichen Niveauunter- 
schiedes der freien Atmosphäre an sich ist, ebenso auflällig ist da- 
neben die verhältnismässig starke Veränderlichkeit der Windge- 
schwindigkeit in den verschiedenen Schichten über unserem Alpen- 
lande und dem Juragebiet. Schon gegen 4 Uhr nachmittags flaut 
die Windstärke auf dem freien Säntisgipfel (2500 m) fast ganz ab 
(4 — 5 ühr nachmittags SSE mit 0,8 m per Sekunde), während in 
dem untern ca. 500 m tiefem Niveau von Pilatus und Rigi zur 
selben Zeit immer noch eine frische südöstliche Strömung weht, 
die auf der unmittelbar vor dem Alpenwall gelegenen Station 



— 112 — 

Brünig-Kulm (1000 m) bei starkem Nebeltreiben in NEs übergeht. 
Westwärts davon, am Jura, notiert Chaumont in 1100 m Seehöhe 
dagegen völlige Windstille, indessen unsere „Wega" noch weiter 
draussen im französischen Gebiet, von 3*/* — 4^2 Uhr nachmittags 
beim raschen Abstieg, zwischen 6800 m und der Erdoberfläche 
selbst wieder eine Geschwindigkeit des Luftstroms von 9 — 12 m 
konstatiert. 

D. Die Ergebnisse der ftbrigen am 3. Oktober 1898 statt- 
gehabten internationalen Ballonfahrten. 

Es erübrigt zum Schluss noch eine vergleichende Zusammen- 
stellung über die wertvollen Ergebnisse der verschiedenen anderen 
am 3. Oktober, simultan mit der unsrigen, ausgeführten Ballon- 
fahrten. Der Güte des Herrn Direktor P. Erk verdanken wir 
nachstehenden, von dem Fahrttheilnehmer Dr. Franz Hörn verfassten 
Bericht über 

Die Münchener Fahrt vom 3. Oktober 1898. 

„Der Ballon „Akademie*^ (1300 m^, Korbinsassen: Premier- 
lieutenant Dietel als Führer mid Dr. Hörn von der k. b. Meteorologischen 
Centralstation) stieg in München vom Übungsplatze Oberwiesenfeld 
der k. Luftschifferabteilung um 11 Uhr 40 Minuten bei frischem 
Nordostwind auf. Der Himmel war vollständig bedeckt, die Tempe- 
ratur lag zwischen 13^ und 14^. Da die Luftbewegung eine ziemlich 
lebhafte war, wurde dem Ballon in Anbetracht der Nähe hoher 
Kamine ein sehr starker Auftrieb gegeben. 

Wir traten denn auch im Nu unmittelbar nach der Abfahrt in 
die Wolken ein und durchbrachen fast ebenso rasch wieder die 
Wolkenschicht. Die Mächtigkeit der letzteren hat kaum 200 m be- 
tragen, indem die untere Wolkengrenze bei 920 m, die obere bei 
1120 m ungefähr gelegen sein wird. 

Über den Wolken bot sich bei ganz klarem Himmel ein herr- 
licher Ausblick auf das Gebirge, welches aus der vollständig bis zum 
Horizont geschlossenen Wolkendecke emportauchte. Die letztere bot 
das Bild eines unendlichen Schneefeldes, das aber durchaus nicht 



— 113 — 

einförmig erschien, sondern von unzähligen Furchen in den ver- 
schiedensten Windungen durchzogen, sich sehr abwechslungsreich 
gestaltete. Über dem Gebirge dehnten sich einzelne Ci-Streifen hin. 
Entsprechend der geringen Höhe, bis zu welcher die Condensations- 
schicht reichte, waren nicht nur das eigentliche Massiv der Alpen, 
sondern auch die demselben vorgelagerten Berge in ihren oberen 
Teilen sichtbar. 

So lange wir über dem ununterbrochen ausgebreiteten Nebel- 
meere fuhren, zeigte sich fortgesetzt auf demselben der Ballonschatten 
mit Aureole. 

Ein Ausblick nach der Tiefe war unmöglich. Sonach konnte 
zwar eine Orientierung nach unten nicht vorgenommen werden; da 
wir uns aber dem Gebirge nicht näherten, vielmehr uns langsam 
davon zu entfernen schienen, ausserdem noch fortwährend das Ge- 
räusch von fahrenden Eisenbahnzügen, welches auf mehrere Linien 
schliessen Hess, zu uns herauf tönte, so vermuteten wir, dass wir uns 
nur langsam von München entfernten, und voraussichtlich in nördlicher 
bis nordwestlicher Richtung davon abtrieben. 

Nach einer Stunde näherten wir uns dem Ende der vollständig 
geschlossenen Wolkendecke. Das Gewölk trat stellenweise etwas 
auseinander und gestattete nunmehr von Zeit zu Zeit kurzen Aus- 
blick ins Gelände. Die Wolken waren jetzt als einzelne Haufen im 
allgemeinen in langen Parallelreihen geordnet. Sie zogen unter uns 
sehr rasch hinweg, unsere Fahrtrichtung kreuzend. 

Noch konnte aber die Gegend, über welcher wir uns befanden, 
nicht festgestellt werden. Doch wurden wir in unserer vorher aus- 
gesprochenen Vermutung durch den eben genannten Umstand der 
Kreuzung des unteren Wolkenzuges mit der Richtung des Ballon- 
weges bestärkt. 

Unsere Ansicht bestätigte sich denn auch, allerdings erst nach 
zwei Stunden. Nach Verlauf dieser Zeit war es möglich, ein kleines 
Stück des Lech, die Stadt Friedberg und endlich in dessen Nähe 
Augsburg zu erkennen. 

Während sonach unten ein frischer Nordost wehte, herrschte 
in der Höhe eine verhältnismässig schwache südöstliche Luft- 
strömung, mit welcher wir langsam gegen Nordwest getrieben waren. 

8 



— 114 — 

Die Fahrtgeschwindigkeit auf dieser Teilstrecke berechnet sich zwi- 
schen 8V2 und 9 m pro Sekunde. Kurz vor 2 Uhr zogen wir 
in einer Höhe von 2850 m unmittelbar über Augsburg. Wir be- 
wegten uns nur sehr langsam vorwärts und schienen zuweilen 
nach dem Fortschreiten des Seil-Endes zu schliessen, fast ganz stille 
zu stehen. 

Das nach Nordwest gerichtete Gefälle wurde bis gegen den 
Schluss der Fahrt beibehalten, während wir noch weiter hoch gingen. 
Um 2 Uhr 50 Minuten erst wurde in einer Höhe von 3500 m die 
Zusam überschritten. Auch bis hieher hatten wir nur eine Geschwin- 
digkeit von SVs m pro Sekunde erreicht. Mit der Annäherung an 
die Donau wurde die Luftströmung um weniges stärker und setzten 
wir um 3 Uhr 16 Minuten etwas oberhalb Lauingen in einer Höhe 
von 4020 m über den Fluss. Diese Strecke von der Zusam bis 
über die Donau wurde in IOY2 m pro Sekunde zurückgelegt. Von 
hier ging die Fahrt fortgesetzt in nordwestlicher Richtung weiter, 
indem der Ballon noch bis zu 4700 m anstieg. Kurz vor 4 Uhr 
begann er dann zu sinken und Hessen wir ihn ruhig weiter fallen, 
da wir uns nunmehr an die Landung machen mussten. Wir pas- 
sierten die württembergische Grenze, zogen rechts an Gingen vorbei 
und hielten direkt gegen Heidenheim. Doch kamen wir nicht über 
die Stadt selbst, sondern gingen knapp im Südwesten vorbei. Mittler- 
weile waren wir wieder in die unterste Luftströmung geraten, welche 
mit erheblicher Stärke hier unmittelbar von Ost nach West führte. 
Von ihr wurde auch der Ballon ergriffen, wir bogen daher von 
Heidenheim plötzlich scharf nach Westen ab, und trieben zum Schlüsse 
mit sehr grosser Geschwindigkeit in dieser Richtung. 

Die Landung erfolgte nach einer kurzen Schleppfahrt 13 km 
westlich von Heidenheim auf einem Plateau oberhalb des Ortes 
Söhnstetten. 

Wie bereits erwähnt, erfolgte der Aufstieg unter frischem 
Nordostwind bei vollständig bedecktem Himmel und einer Temperatur 
zwischen 13^ und 14^. In der Höhe herrschte dagegen nur eine 
schwache südöstliche Luftströmung. Die Fahrtgeschwindigkeit des 
Ballons bewegte sich auf dem grösseren Teil der Strecke zwischen 
872 und 9 m pro Sekunde. Später stieg sie auf 10 72 m pro Se- 



— 115 - 

kunde; nur gegen den Schluss der Fahrt, als sich der Ballon bereits 
wieder in dem Bereich der untersten, mit ziemlicher Stärke direkt 
aus Osten kommenden Luftströmung befand, wurde eine erhebliche 
G^chwindigkeit erreicht. Die Wolkendecke lag tief, in einer Höhe 
von 920 m, das sind 400 m über dem Abfahrtsorte, und war von 
geringer Mächtigkeit ; sie betrug kaum 200 m, indem sie bereits bei 
1120 m wieder endete. Oberhalb der Wolkendecke, auf welche der 
volle Sonnenschein traf, in einer Höhe von 1210 m, konnten wir 
eine Wärme von 14,8^ aufzeichnen, so dass dortselbst die Tempe- 
ratur nicht nur relativ, sondern auch absolut höher als am Erdboden 
war. In der Höhe von 1670 m beobachteten wir eine Temperatur 
von 11,0^. Yon hier ab erfolgte eine langsame Temperaturabnahme 
mit der Höhe, 0,5® bis 0,3<> pro 100 m. In 3020 m Höhe wurden 
noch 3,0® aufgezeichnet. In 3490 m Höhe 1,6®. Der Gefrierpunkt 
lag bei 3650 m Höhe. Oberhalb der Null-Isotherme erfolgte eine 
etwas schnellere, aber unregelmässigere Temperaturabnahme. Es 
wurden in den Höhen von 3750 m —0,5®, 3880 m —1,8®, 4260 m 
— 4,0®, 4380 m —5,2®, 4070 m —2,4® aufgezeichnet. Die Null- 
Isotherme wurde auch beim Abstieg in der gleichen Höhe von 
3650 m vorgefunden.** 

Im weitern stellte uns der Präsident des internationalen 
aöronautischen Komites, Prof. Dr. Hergesell, in liebenswürdiger 
Weise die Beobachtungen der Herren Berson und Dr. Süring 
zur Verfügung, die am selben Tage auf der 12. Fahrt mit dem 
Berliner Vereinsballon gewonnen worden sind. Der bemannte 
Ballon (von 1300 kbm Inhalt, mit 800 kbm Wasserstoff gefüllt) 
stieg um 10 Uhi* 55 Minuten vormittags, also nahe zu gleicher 
Zeit mit der „Wega**, in die Höhe, fuhr zuerst nach ESE, dann 
nach SSE und landete schliesslich in WSW in der Nähe von Burg 
a. Ihle bei Magdeburg; die Dauer der Fahrt betrug 6 Stunden 23 
Minuten, die Länge 118 km, die mittlere Geschwindigkeit 5,3 m 
pro Sekunde. Wir entnehmen den Beobachtungen die nachstehende 
Zusammenstellung : 



— 116 — 

Beobachtungen der Herren Dr. Süring und Berson auf 
der 12. Fahrt des Vereinsballons am 3. Oktober 1898. 



Zeit 


Höhe 


Temperatur 


Rel. Feucht. 


Dampf- 


m 





> 


spannung 








mm 


stunde Min. 










10. 50 a 


45 


14,3 


65 


7,86 


10.55 




Abfahrt 




10.57 


159 


13,9 


67 


7,86 


10.58 


199 


12,9 


72 


7,91 


11.00 


265 


12,4 


72 


7,73 


11.05 


673 


10,5 


43 


4,10 


11.07 


770 


11,3 


30 


2,93 


11. 10 


840 


11,9 


68 


7,02 


11. 14 


1010 


11,8 


79 


8,11 


11. 16 


1074 


12,4 


75 


8,06 


11.18 


1185 


12,9 


69 


7,64 


11.23 


1430 


12,3 


67 


7,13 


11.27 


1670 


11,6 


55 


5,54 


11.31 


1820 


10,1 


57 


5,28 


11.351/2 


2357 


8,1 


62 


4,98 


11.41 


2823 


4,6 


68 


4,32 


11.47 


3423 


0,9 


66 


3,22 


11.54 


4180 


— 2,3 






11.59 


4655 


— 5,5 


17 


0,53 


12.4 p 


4892 


— 5,9 


22 


0,64 


12. 11 


4961 


6,8 


22 


0,60 


12. 17 


4920 


- 6,1 






12.22 


5159 


8,0 


19 


0,54 


12.28 


5174 


- 8,1 


18 


0,44 


12.32 


5195 


8,8 


23 


0,55 


12.38 


5511 


— 10,2 


40 


0,84 


12.52 


5638 


- 11,7 


52 


0,97 


12.57 


5664 


12,9 


64 


1,09 


1.06 p 


5654 


13,0 


46 


0,78 


1.30 


6034 


-14,1 


58 


0,90 


1.38 


6168 


— 15,4 


41 


0,57 


1.45 


6341 


15,8 


40 


0,54 


1.52 


6623 


— 16,8 


36 


0,44 


1.58 


6828 


18,1 


42 


0,47 


2.08 


7090 


— 20,0 


39 


0,37 



— 117 — 



Zeit 


Höhe 


Temperatur 


Rel. Feucht. 


Dampf- 


«iOlv 


m 





7o 


spannung 
mm 


Stand« Min. 










2.17 


7321 


— 21,2 


42 


0,36 


2.22 


7345 


21,5 


51 


0,42 


2.24 


7377 


21,8 


53 


0,43 


2.59 


5064 


- 7,1 


19 


0,50 


3.07 


5188 


— 8,6 


31 


0,75 


3.12 


5103 


- 7,8 


24 


0,61 


3. 17 


5010 


- 7,3 


25 


0,66 


3.24 


4757 


— 5,8 


17 


0,50 


3.34 


3954 


- 1,0 


32 


1,35 


3.55 


3030 


3,7 


56 


3,32 


3.58 


2838 


4,6 


52 


3,32 


4.12 


2418 


6,2 


68 


4,83 


4.16 


2095 


6,9 


81 


6,00 


4.22 


1938 


9,6 


56 


4,99 


4.25 


1797 


9,6 


75 


6,69 


4.31 


1630 


10,8 


72 


6,91 


4.35 


1375 


11,8 


74 


7,64 


4.37 


1170 


13,2 


74 


8,36 


4.43 


1045 


13,6 


71 


8,16 


5.18 


Leichte L 


andung in der Nähe von Bui 


rg a. Ihle. 


5.39 


ca. 70 


13,1 


89 


10,00 



Die AuflFahrt des Berliner Ballons fand in einem reinen Hoch- 
druckgebiet, nahe dessen centraler Partie, statt; die Fahrti'ichtung 
war unbestimmt und die Fluggeschwindigkeit demzufolge gering. 
In den untern durchfahrenen Scliichten ist auch das charakteristische 
Zeichen des Hochdrucks, die Temperaturumkehrung und relative 
Trockenheit deutlich vorhanden; in den höhern Schichten tritt ein 
ziemlich starker Wechsel von trockenen und relativ feuchtem 
Schichten auf. Das Minimum der relativen Feuchtigkeit (ca. 20Vo) 
wird, übereinstimmend beim Auf- und Abstieg, in der Höhenzone 
von 4000 — 5200 m gefunden. Trägt man die beobachteten Tem- 
peraturen bis zum höchsten Punkte der Berliner Ballonbahn, die 
während des Aufstieges zeitlich sehr nahe mit den unsrigen kor- 
respondieren, graphisch auf, so ergiebt sich nachstehendes sprechende 



— 118 — 



Bild der vertikalen Temperaturschichtung einerseits im barome- 
trischen Maximum und andererseits für unser Grenzgebiet der 
Südwestalpen, in der Nähe einer cyklonal gestörten Zone: 



Vertikale Temperaturverteilung am 3. Oktober 1898. 

T , . ^r . Über den Südwestalpen und 

Im barometr. Maximum . , t»i x u- t 

T i.^^ ^ ^ A anstoBsendem Plateau bis Jura 

Lufttemperatur: C» Lufttemperatur: C« 

(16,0) Mittlere Temperatur 
13,2 



Höhe in 
Metern 



500 
1000 
1500 
2000 
2500 
3000 
3500 
3600 
4000 
4500 
5000 
5500 
6000 
6500 
7000 
7377 
7500 



11,5) 
11,8 
12,1 
9,5 
7,2 
3,5J 
0,5] 
0,0 

-1,7 
-4,5 
—6,5 
—10,2 
—14,0 
—16,4 
—19,3 
—21,8 
(-22,3) 



Mittlere Temperatur 
der Luftsäule: 



.... 9,3 



7,5 



10,6 

8,2 

4,8 

2,5 

-1,01 

—4,3 

-7,0 

-9,4 

—13,4 

—17,5 

—21,5 



der Luftsäule: 





7,9 



—10,6 



Ein Blick auf diese Tabelle der vertikalen Temperaturschich- 
tung zeigt ohne weiteres, dass die Temperatur der Luftsäule im 
Hochdruckgebiet eine merklich höhere ist, wie diejenige unserer 
Fahrzone über dem Gebiet der Südwestalpen, und zwar bis zu den 
höchsten Höhen. Auffällig ist namentlich der Unterschied in der 
vertikalen Temperaturschichtung von zirka 4000 m ab, bei 6500 m 
steigt die Differenz zu Gunsten des barometrischen Maximums auf 
volle 5 Grad. Unsere zahlreichen Beobachtungsreihen belegen also 
wiederum in anschaulicher Weise die Thatsache, dass barometrische 
Maximalgebiete relativ hochtemperierte Luftsäulen enthalten, wäh- 
rend die Luftkörper der Zonen niedern Drucks und deren Nach- 
barschaft verhältnismässig kalt sind, ein typisches Verhalten d6r 
beiden atmosphärischen Hauptzirkulationssysteme — Cyclonen und 



~ 119 — 



Anticjclonen — , das uns durch die ausgezeichneten Arbeiten Hannos 
auf diesem Gebiete schon lange bekannt und auch von Professor 
Hergesell a. a. 0. einlässlich berührt worden ist. 

Namentlich der Petersburger Ballon (Auffahrt 12 Uhr 37 M., 
Landung 3 Uhr 8 M. nachm., 140 km. südöstlich von Petersburg), 
der direkt in einem Depressionsgebiete aufstieg, zeigte die stärkere 
Abkühlung gegenüber dem Hochdruckkörper in augenfälliger Weise ; 
er erreichte eine Maximalhöhe von 3400 m und fand hier bereits 
eine Temperatur von — 9® C. vor. Die Thatsache, dass die inter- 
nationalen simultanen Ballonfahrten des 3. Oktober das gleichzeitige 
Studium ganz verschiedener Witterungsgebilde — eines Hochdruck- 
gebietes und zweier Zonen niederen Drucks — ermöglichten, ist 
gerade fui- die Beurteilung der Wichtigkeit dieser Fahrt von 
höchster Bedeutung. Sie allein giebt Gewähr, wie Prof. Hergesell 
mit vollstem Recht betont, dass die internationalen Ballon- 
fahrten am 3. Oktober zu den gelungensten gezählt werden 
dürfen, die je angestellt wurden. 

Nach den oben gegebenen Zahlen berechnet sich für die 
ganze Schicht zwischen 1500 und 7500 m — unter Ausschluss 
der Temperatur umkehrenden Eegion — eine mittlere Temperatur- 
abnahme von 0,56^ per 100 m im barometrischen Maximum; der 
vertikale Temperaturgradient erreichte bei der Berliner Fahii in den 
höhern und höchsten Schichten nirgends eine auflallige Grösse (0,48 
bis 0,76^ per 100 m). In diesem Punkte weisen die in unserer frü- 
heren Tabelle mitgeteilten Zahlen merklich grössere Werte auf. 
Wir erhielten pro 100 m: 



Für die Temperaturabnahme 



m 

von: 5000—5250 
5250—5500 
5500 — 5750 
5750—6000 
6000—6250 



0,80] 
0,76 
0,90 
0,68 
0,76 
6250—6500 0,84 







0,79 



Dagegen im barometrischen 
Maximum resultiert: 



m 

von: 5000—5500 0,74 

5500—6000 0,76 

6000—6500 0,48 

6500—7000 0,58 

7000—7500 0,50 



0,61 



— 120 — 

Diesen Daten mögen endlich noch die sehr interessanten 
Pariser-Kegistrierungen beigefügt werden, welche mit dem zu Trappes 
— vom Privatobservatorium des Herrn Teisserenc de Bort — um 
11 Uhr 50 M. vormittags aufgelassenen Ballon sende »erhalten 
worden sind ; wir verdanken deren Mitteilung wiederum de. zuvor- 
kommenden Güte des Präsidenten des internationalen aeronautischen 
Komites. Die Landung des Registrierballons erfolgte bei Mortagne 
(Departement Ome), zirka 130 km westsüdwestlich von Paris, nach- 
dem eine Höhe von 10500 m und eine Temperatur von — 35^ C. 
erreicht war. Die Ballonsonde führte zwei ßegistrierapparate (Nr. 3 
und Nr. 4) mit sich, welche nachstehende, je aus Auf- und Ab- 
stieg berechnete, Mittelreihe für die Temperatur der durchflogenen 
atmosphärischen Regionen lieferte: 

Temperatur: 0® 





Hohe 
m 


Apparat Nr. 3 


Apparat Nr. 4 


Aufstieg V. Trappes 
b. /Paris 


171 

500 

1000 


16,9 

14,1 

9,6 


16,9 

13,0 

9,8 




1500 


9,2 


8,4 




2000 


8,9 


7,9 




2500 


7,2 


6,2 




3000 


4,8 


3,6 




3500 


2,1 


1,2 




4000 


—1,2 


-1,6 




4500 


-4,0 


-4,3 




5000 


-6,4 


—6,8 




5500 


9,3 


—8,9 




6000 


—12,3 


-11,4 




6500 


—15,3 


-14,2 




7000 


18,2 


16,9 




7500 


20,8 


19,6 




8000 


23,7 


23,0 




8500 


—28,1 


— 27,1 




9000 


— 31,8 


—30,1 




9500 


34,4 


—31,8 




10100 


35,2 


—34,7 



Die maximale erreichte Höhe betrug nach dem Barographen 
von Nr. 3 10,433 m, nach den Angaben von Nr. 4 wenig mehr, 



— 121 — 

nämlich 10,509 m. Die Nulltemperaturschicht wurde, nach beiden 

Instrumenten übereinstimmend, etwas über 4000 m gefunden, 

nämli ^h : 

^4-0,2<> in 4005 m um 11 Uhr 54 Minuten nach Nr. 3 

(+0,1« „ 4125 , , 11 , 54 , . « 4 

—2,10 „ 4431 , , 11 , 56 , « n 3 

-2,6« „ 4681 „ „ 11 , 56 , . n 4 

Die Registrierungen der Pariser Ballonsonde, deren Fahrkurve 
Wenig südlich von der Grenze der barometrischen Maximalzone er- 
folgte, ergaben für die Temperatur der obern Luftschichten von 
3000 m ab durchweg noch etwas höhere Werte wie die Berliner 
Beobachtungen; zweifellos flog die Parisersonde in dem aus der 
nordwärts lagernden barometiischen Maximalzone entfliessenden 
wärmeren Strome direkt gegen WSW an der westlichen Seite 
der Teildepression entlang, während gegenteils unsere „Wega** von 
dem aus der Cyclone entstammenden kälteren Strome, der 
Druckverteilung entsprechend, an deren östlichen Seite nach NW 
gefuhrt wurde. Berechnet man nach den obigen Angaben die 
Temperaturgradienten für die einzelnen Schichten, so ergibt sich 
nach halben Myriametern (// = 1000 m) geordneten Höhen: 

0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5// 
Temperaturgradient pro 100m: 0,85 0,90 0,08 0,06 0,340,480,54 

4 4,5 5 5,5 6 6,5 7 /z 
Temperaturgradient pro 100 m: 0,66 0,56 0,48 0,58 0,60 0,60 0,58 

7,5 8 8,5 9 9,5 10,1 fi 
Temperaturgradient pro 100 m: 0,52 0,58 0,88 0,74 0,52 0,13^0. 

Als Mittelwert des Temperaturgradienten für die ganze LufU 
säule (0—10,000 m) resultiert hieraus: 0,53<^. 



Wir dürfen unsern Bericht nun füglich schliessen. Neben 
dem ausserordentlich reichhaltigen und wertvollen Material hat die 
denkwürdige internationale Fahrt vom 3. Oktober letzten Jahres auch 
noch eines mit Sicherheit zu Tage gefördert, dass es in Zukunft 
nun möglich sein wird, die wichtige Aufgabe in Angi*ifF nehmen zu 



— 122 — 

können, bestimmte Wetterlagen durch Ballonfahrten gründlich zu 
studieren. Wie Prof. Dr. Hergesell selbst betont, war es bisher 
nur möglich gewesen, internationale AuflFahrten an vorher genau 
fixierten Zeitpunkten zu veranstalten; die Wetterlage, die dabei 
erforscht wurde, war dem Zufall anheimgegeben. Die Fahrten des 
3. Oktober haben aber den Beweis erbracht, dass es wohl möglich 
ist, einen internationalen Ballonaufstieg auch so zu arrangieren, 
dass gewartet wird, bis eine interessante, zur Erforschung geeignete 
Wetterlage eintritt, wiewohl der Tag des Eintretens der gewünsch- 
ten Druckverteilung vorher nicht bekannt ist. Wir verdanken diesen 
bedeutsamen Fortschritt in erster Linie der rastlosen, weitsichtigen 
Thätigkeit der internationalen aeronautischen Commission. Die 
klassischen, vor bald einem halben Säkulum geschriebenen Worte 
ölaisher's : 

fl. . . that the ballon affords a mean of solving with advan- 
tage many delicate questions in physics and that the observations 
can be made with tolerable safety to the observer; and therefore 
that the ballon may be used as a philosophical agent in many in- 
yestigations. " 

haben dm-ch unsere Fahrten vom 3. Oktober 1898 die vollste 
Bestätigung erfahren. 



Temperatnrabaahine mit der Höhe in der freien Ätniospliäre zwischen 

den Schweiz. SW-Alpen und dem Jura am 3. Oktober 1898 

wälirend der Wegafahrt. 



Meerhühe in Meter 



Temper 



I 

I 



1 

■g 



\ 

I 



s^H 



1Vj-4